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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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seine Lage nur verschlimmert.
    Der Richter sah ihn fragend an.
    »Keine Fragen, danke, Euer Ehren«, sagte der mit trockenem Mund und setzte sich wieder.
    So stieg Lord Wellborough vom Zeugenstand herunter, schritt durch den Saal und ging hinaus.
    Harvester rief nun Lady Wellborough auf.
    Im Gegensatz zu ihrem Mann verriet sie Nervosität. Als hätte sie sich nicht ganz entscheiden können, ob sie trauern sollte oder nicht, trug sie die Farben Schwarz und Braun. Nun, es ging um einen Todesfall und die Leugnung eines Mordes.
    »Lady Wellborough«, begann Harvester in sanftem Ton, »ich brauche Ihnen nicht viele Fragen zu stellen, und sie alle beziehen sich auf Gräfin Rostovas Worte und deren Auswirkungen.«
    »Ich verstehe«, sagte sie mit zitternder Stimme. Mit vor dem Bauch gefalteten Händen stand sie da. Ihre Augen wanderten zuerst zu Gisela und dann zu Zorah hinüber. Die Geschworenen sah sie nicht an.
    »Nun gut. Darf ich Sie noch einmal zu der Dinnerparty im Londoner Haus von Lady Easton zurückführen, an der auch sie und Lord Wellborough teilnahmen? Erinnern Sie sich daran?«
    »Ja, natürlich.«
    »Hörten Sie Gräfin Rostovas Bemerkung über Prinzessin Gisela und über Prinz Friedrichs Tod?«
    »Ja. Sie behauptete, die Prinzessin hätte ihn ermordet.« Rathbone sah zu Gisela hinüber. Vergeblich versuchte er , ihrem Gesicht etwas abzulesen. Sie wirkte unbewegt, ja , unbeteiligt, als verstehe sie nicht, was gesagt wurde. Oder war es ihr am Ende egal? Alles, was ihre Leidenschaft geweckt, was ihr etwas bedeutet hatte, war unwiederbringlich Vergangenheit; es war gestorben mit dem Mann, den sie geliebt hatte. Was hier gespielt wurde, drang kaum noch zu ihr durch – eine Farce ohne Bezug zur Realität.
    Harvesters Stimme zwang ihn, wieder zuzuhören. »Sagte sie es einmal oder mehrere Male?«
    »Sie wiederholte es bei mindestens drei mir bekannten Anlässen«, antwortete Lady Wellborough. »Und ganz London redete davon. Weiß der Himmel, wie oft sie das noch behauptet hat!«
    »Sie meinen, es wurde darüber diskutiert oder geklatscht, wenn Sie so wollen?« half Harvester nach.
    Ihre Augen weiteten sich. »Natürlich! So etwas läßt doch keinen kalt. Man muß einfach darauf reagieren!«
    »Die Leute erzählten es also weiter, ob sie es glaubten oder nicht?«
    »Ja…, ja. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Leute so etwas glaubten! Wie denn auch? Das ist ja grotesk!«
    »Aber trotzdem wiederholten sie es?« bohrte er nach.
    »Hmm…, ja.«
    »Wissen Sie, wo die Prinzessin sich damals aufhielt, Lady Wellborough?«
    »Ja, sie war in Venedig.«
    »War ihr bekannt, was über sie gesagt wurde?«
    Sie errötete leicht. »Ja…, ich…, ich habe es ihr geschrieben.« Sie biß sich auf die Lippe. »Ich tat es höchst ungern. Ich brauchte eine Woche für den Brief, aber ich konnte doch nicht zulassen, daß so etwas unwidersprochen über sie verbreitet wurde. Ich konnte sie natürlich in Schutz nehmen und das abstreiten, aber es war mir nicht möglich, rechtliche Schritte einzuleiten.« Sie starrte Harvester mit eindringlichem Blick an.
    Rathbone hatte das Gefühl, ihr sei sehr daran gelegen, daß Harvester ihre Gründe verstand. Kurz kam ihm in den Sinn, daß sein Gegner das Verhör mit ihr geübt haben könnte und sie sich nun vergewissern wollte, daß sie auch wirklich die richtige Antwort gegeben hatte. Aber selbst wenn das stimmte, hätte es ihn auch nicht weitergebracht. Für Zorah konnte er jedenfalls kein Kapital daraus schlagen.
    »Sie haben ihr also ermöglicht, sich vor dem Gesetz zu verteidigen?« schloß Harvester. »Und das tut sie jetzt auch. Haben Sie eine Antwort auf Ihren Brief erhalten?«
    »Ja.«
    Beifälliges Gemurmel erhob sich in der Galerie. Einer der Geschworenen nickte bedächtig.
    Harvester zog einen blaßblauen Papierbogen aus seiner Tasche und reichte ihn dem Gerichtsdiener.
    »Euer Ehren, darf ich diesen Brief als Beweismittel führen und die Zeugin bitten, ihn zu identifizieren?«
    »Antrag gestattet«, stimmte der Richter zu.
    Lady Wellborough bestätigte, daß das der Brief war, den sie erhalten hatte, und las mit rauher Stimme den Inhalt mitsamt Datum und der Anschrift der Klägerin in Venedig vor. Nur einmal sah sie kurz zu Gisela hinüber und erntete ein fast unmerkliches Nicken.
    »›Meine liebe Emma‹«, begann sie etwas unsicher, »›Mit Worten läßt sich nicht fassen, wie tief Ihr Brief mich getroffen und schockiert hat. Am Anfang wußte ich kaum, wie ich die Feder zum

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