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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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beunruhigend, hat doch niemand schwerwiegende Verletzungen erlitten.« Er sprach unaufgeregt und ohne Gesten.
    »Auch haben wir keine blutüberströmte Leiche, keinen übel zugerichteten Überlebenden eines Überfalls zu beklagen. Kein Geschäft ist in den Ruin getrieben worden.« Er deutete ein Achselzucken an, als gebe der Fall Anlaß zu milder Ironie. »Wir haben es mit nichts als mit Worten zu tun.« Er hielt, den Rücken demonstrativ Rathbone zugekehrt, inne.
    Im Saal herrschte Stille.
    In der Galerie schnappte eine Frau nach Luft und fing an zu husten.
    Einer der Geschworenen blinzelte mehrmals.
    Mit einem freudlosen Lächeln fuhr Harvester fort. »Aber andererseits besteht die Heilige Schrift ja auch nur aus Worten.
    Der Krönungseid – nichts als Worte… wie auch die Eheschließung.« Er sprach ausschließlich an die Geschworenen gewandt. »Betrachten Sie all das etwa als Banalitäten?« Er erwartete keine Antwort, sah er sie doch deutlich auf ihren Gesichtern. »Die Ehre eines Mannes und einer Frau beruht auf den Worten, die sie sprechen. Alles, was wir heute und morgen vor diesem Gericht benutzen werden, sind Worte. Mein gelehrter Freund« – er deutete mit dem Kinn auf Rathbone – »und ich werden uns eine Schlacht liefern, und als Waffe werden uns nur Worte und die Erinnerung an jene besagten Worte zur Verfügung stehen. Wir werden nicht die Faust gegeneinander erheben.«
    Jemand gab ein nervöses Lachen von sich und erstickte es sofort.
    »Es ist nicht leicht dahingesagt, wenn es in unserem Neuen Testament heißt: ›Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.‹ Auch gilt es nach dem fünften Buch Moses nicht zufällig als Todsünde und Blasphemie, den Namen des Herrn zu mißbrauchen.« Sein Ton schlug jäh um. Mit zornbebender Stimme donnerte er: »Den Namen eines Mannes oder eine Frau zu mißbrauchen, falsches Zeugnis abzulegen, Lügen zu verbreiten, das ist ein himmelschreiendes Verbrechen, und es erfordert die Wiederherstellung der Gerechtigkeit und Entschuldigung!«
    Bei allem Widerwillen zollte Rathbone seinem Gegner insgeheim Beifall. Eine ähnliche Eröffnung hätte auch er gewählt, wäre er Giselas Anwalt gewesen.
    »Einem Menschen seinen guten Namen zu stehlen ist schlimmer, als ihm sein Haus, sein Geld oder seine Kleider zu rauben! Einem anderen das zu unterstellen, was von meiner Mandantin gesagt wurde, übersteigt das Verständnis und die Bereitschaft zu vergeben. Wenn Sie die Beweise gehört haben, werden Sie meine Empörung teilen, daran zweifle ich nicht eine Sekunde.«
    Er drehte sich zum Richter um. »Euer Ehren, ich rufe meinen ersten Zeugen auf, Lord Wellborough.«
    Im Gerichtssaal wurde aufgeregt getuschelt. Fast alle reckten die Hälse, damit ihnen nicht entging, wie der Lord aus der Vorhalle, in der er gewartet hatte, hereinkam. Von imposanter Statur war er wirklich nicht, aber das machte er durch seine stolze Haltung mehr als wett. Und seine Kleider zeugten von Wohlstand und hohem Selbstwertgefühl.
    Er erklomm die Stufen zum Zeugenstand und leistete seinen Eid. Dabei war sein Blick die ganze Zeit auf Harvester gerichtet. Weder der Richter noch Zorah schien für ihn zu existieren. Er wirkte ernst, aber in keinster Weise nervös.
    »Lord Wellborough«, begann Harvester und trat auf die kleine freie Fläche vor dem Zeugenstand, der vor ihm aufragte wie eine kleine Kanzel, so daß er nach oben schauen mußte. »Sind Sie mit der Klägerin und der Beklagten in diesem Fall bekannt?«
    »Ja, das bin ich.«
    »Waren beide zu der Zeit des tragischen Unfalls und des bald darauf folgenden Todes von Prinz Friedrich, dem Ehemann der Klägerin in Ihrem Haus zu Gast?«
    »Das ist richtig.«
    »Haben Sie die Klägerin noch einmal wiedergesehen, nachdem Sie Ihr Haus kurz nach diesem Unglück verließ?«
    »Nein, Sir. Prinz Friedrich wurde in Wellborough beerdigt.
    Soviel ich weiß, wurde in Venedig, wo der Prinz und seine Gattin den größten Teil ihrer Zeit verbrachten, ein Gedenkgottesdienst abgehalten, aber leider konnte ich damals nicht dorthin reisen.«
    »Haben Sie die Beklagte seitdem wiedergesehen?« Harvesters Stimme war sanft, als sei er nur beiläufig an einem gesellschaftlichen Ereignis interessiert.
    »Ja, Sir, bei mehreren Gelegenheiten«, antwortete Wellborough mit zornbebender Stimme.
    In der Galerie richteten sich mehrere Reporter auf.
    »Können Sie mir sagen, was beim ersten dieser Anlässe geschah, Lord Wellborough? Bitte schildern Sie es in

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