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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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seiner Anspannung ballte er die Fäuste mit solcher Kraft, daß ihn die Muskeln schmerzten, und ohne es zu merken, fuchtelte er ruckartig herum. »Haben Sie den Brief nicht gehört? Haben Sie die Gesichter der Geschworenen nicht gesehen? Gisela ist eine Heldin, das Ideal ihrer romantischen Vorstellungen! Sie haben sie mit einer Beschuldigung angegriffen, die Sie nicht beweisen können. Jetzt stehen Sie als die Schurkin da. Was ich auch sage, ich kann daran nichts mehr ändern. Mit jedem Gegenangriff verschlimmere ich nur Ihre Lage.«
    Sie stand reglos vor ihm, blaß das Gesicht, die Schultern straff. Mit leiser und etwas zitternder Stimme sagte sie: »Sie geben zu schnell auf. Wir haben doch erst angefangen. Kein vernünftiger Mensch trifft eine Entscheidung, wenn er nur einen Standpunkt gehört hat. Wie auch immer, die Geschworenen haben die Pflicht, zu warten und auch uns anzuhören. Gewährleistet das Gesetz es denn nicht beiden Seiten, ihre Argumente vorzubringen?«
    »Aber Sie haben keine Argumente!« schrie Rathbone, nur um sofort zu bedauern, daß er die Selbstbeherrschung verloren hatte. Das war nur würdelos und brachte niemanden weiter. »Sie haben keine Argumente«, wiederholte er merklich leiser. »Das einzige, was wir jetzt noch erreichen können, ist, Indizien vorzulegen, die den Schluß zulassen, daß Friedrich ermordet wurde, auch wenn wir unmöglich beweisen können, daß Gisela die Täterin war. Sie werden Ihre Behauptungen früher oder später mit einer Entschuldigung zurücknehmen müssen, oder Ihnen droht eine empfindliche Strafe. Sie werden Ihren Ruf verlieren…«
    »Ruf!« Sie lachte höhnisch auf. »Finden Sie nicht auch, daß ich ihn schon längst verloren habe, Sir Oliver? Alles, was ich jetzt noch habe, ist das bißchen Geld, das ich von meiner Familie geerbt habe, und wenn Gisela es mir wegnehmen will, kann sie es gerne haben. Meine Integrität, meinen Witz und meine Überzeugungen kann sie mir nicht nehmen!«
    Rathbone setzte zu einer Widerrede an, erkannte aber, daß das keinen Sinn hätte. Zorah hätte ohnehin nicht auf ihn gehört. Vielleicht hatte sie das noch nie getan. Er wählte einen anderen Ansatz. »Nun, dann…«, begann er, um abermals abzubrechen.
    »Ja?« fragte sie.
    Er hatte ihr raten wollen, wenigstens bescheiden aufzutreten, wäre damit aber wohl auch nicht bei ihr durchgedrungen. So etwas entsprach einfach nicht ihrer Natur.
    Der erste Zeuge nach dem Mittagessen war Florent Barberini. Rathbone war schon neugierig auf ihn. Nun, er war ein südländischer Typ und sah blendend aus, kam Rathbone allerdings etwas zu melodramatisch vor. Sein erster Eindruck war darum ein negativer.
    »Waren Sie zu der Zeit von Prinz Friedrichs Tod in Wellborough Hall, Mr. Barberini?« begann Harvester ziemlich zwanglos. Er zog es vor, die englische Anredeform zu benutzen und nicht die deutsche oder italienische.
    »Ja«, antwortete Florent.
    »Blieben Sie danach noch einige Zeit in England?«
    »Nein, ich kehrte zum Gedenkgottesdienst für Prinz Friedrich nach Venedig zurück, wo ich bis vor kurzem auch blieb.«
    »Waren Sie ein treuer Anhänger von Prinz Friedrich?«
    »Ich bin Venezianer; dort ist meine Heimat.«
    Harvester ließ sich davon nicht beeindrucken. »Aber Sie kamen nach England zurück?«
    »Ja.«
    »Warum, wenn Venedig doch Ihre Heimat ist?«
    »Weil mir zu Ohren gekommen war, daß Gräfin Rostova Prinzessin Gisela des Mordes bezichtigt haben soll. Ich wollte wissen, ob das zutrifft, und ihr in diesem Fall dazu raten, die Beschuldigung unverzüglich zurückzunehmen.«
    »Ich verstehe.« Harvester verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Und was erfuhren Sie bei Ihrer Ankunft in London?« Florent senkte den Blick. Seine Stirn war gerunzelt. Er mußte mit dieser Frage gerechnet haben, doch allem Anschein nach schmerzte sie ihn. »Daß Gräfin Rostova den Vorwurf offenbar in aller Öffentlichkeit vorgebracht hatte.«
    »Einmal?« drängte Harvester und baute sich vor ihm auf.
    »Oder mehrmals? Haben Sie es mit eigenen Ohren gehört oder nur von Dritten?«
    »Ich habe es selbst gehört.« Florent sah nun auf. Seine Augen waren groß und dunkel. »Aber ich kenne niemanden, der es glauben würde.«
    Harvester legte die Stirn in Falten. »Woher wissen Sie das, Mr. Barberini?«
    »Meine Gewährsleute haben es mir gesagt.«
    »Und Sie sind sicher, daß Ihnen die Wahrheit gesagt wurde?« Harvester wirkte ungläubig, wahrte aber gerade noch den Rahmen der Höflichkeit. »Ihre

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