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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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weit aufgerissen. »Beim nächsten Vollmond waren zweihundert Leute auf der Lagune. Das Geschäft lief wunderbar. Ich schließe nicht aus, daß ein Gondoliere das Gerücht in die Welt setzte.«
    Harvester war zu klug, um nicht gute Miene zum bösen Spiel zu machen. »Sehr unterhaltsam.« Er zwang sich zu einem trockenen Lächeln. »Aber wohl eine harmlose Erfindung. Gräfin Rostovas Erfindung dagegen ist alles andere als harmlos, auch wenn sie gewiß mindestens genauso absurd ist, finden Sie nicht auch?«
    »Was Absurdität betrifft, ist der Vergleich meiner Meinung nach schief«, widersprach Florent. »Ich glaube nicht an Nixen, nicht einmal in Venedig. Bedauerlicherweise kommt es aber gelegentlich vor, daß Frauen ihre Männer ermorden.«
    Harvester wirbelte erbost herum, brauchte aber nicht mehr zu protestieren. Die Zuschauer nahmen ihm mit wütendem Gemurre die Mühe ab. »Schande!« schrie ein Mann, und zwei, drei andere sprangen auf. Einer ballte sogar die Faust.
    Mehrere Geschworene schürzten die Lippen und schüttelten den Kopf.
    Die neben Rathbone sitzende Zorah verbarg das Gesicht in den Händen, und er sah ihre Schultern beben. Sie schüttelte sich vor Lachen.
    Harvester entspannte sich wieder. Er hatte es nicht nötig, zu kämpfen, und wußte das auch. »Ihr Zeuge, Sir Oliver.«
    Rathbone erhob sich. Er mußte etwas sagen, zeigen, daß er den Kampf aufnahm. Er war ja schon mehrmals ohne Waffen in Schlachten mit ähnlich hohem Einsatz gegangen. Nun gut, der Richter würde merken, daß es ihm nur auf Zeitgewinn ankam. Auch Harvester würde ihn durchschauen, aber die Geschworenen nicht. Und Florent war ja fast so etwas wie ein freundlicher Zeuge. Offenbar betrachtete er das Vergehen als Bagatelle. Einmal hatte er Zorah angesehen, wenn auch nicht lächelnd, so doch mit einem warmen Blick.
    Aber was sollte er ihn nur fragen? Zorah hatte sich geirrt und war die einzige Person, die das nicht wahrhaben wollte.
    »Mr. Barberini«, begann er in einem weitaus selbstbewußteren Ton, als ihm zumute war, und schritt bedächtig über das Parkett. Hauptsache, er holte ein paar Sekunden heraus, obwohl ihm in diesem Fall alle Zeit der Welt nichts nützen würde. »Mr. Barberini, Sie sagen, daß Ihres Wissens niemand den Vorwürfen von Gräfin Rostova Glauben schenkte?«
    »Soweit ich das beurteilen kann, ja«, antwortete Florent vorsichtig.
    Harvester lehnte sich lächelnd in seinem Stuhl zurück und warf Gisela einen ermutigenden Blick zu, doch sie starrte gebannt nach vorne, ohne ihn wahrzunehmen.
    »Und die Gräfin selbst?« wollte Rathbone wissen. »Haben Sie Grund zu der Annahme, daß sie ihre Beschuldigungen nicht für wahr hält?«
    Florent sah ihn verdattert an. Mit einer solchen Frage hatte er offenbar nicht gerechnet.
    »Keinen einzigen«, erwiderte er. »Ich habe keinen Zweifel, daß sie felsenfest davon überzeugt ist.«
    »Warum sagen Sie das?« Rathbone war klar, daß er sich auf gefährliches Gelände wagte, aber er hatte ja kaum etwas zu verlieren. Es war immer riskant, Fragen zu stellen, auf die man die Antwort nicht kannte. Stets hatte er seinen Assistenten gepredigt, so etwas unbedingt zu vermeiden.
    »Weil ich Zorah… Gräfin Rostova kenne«, erwiderte Florent.
    »Wie absurd es auch klingen mag, sie behauptet nie etwas, wovon sie nicht hundertprozentig überzeugt ist.«
    Harvester stand auf. »Euer Ehren, der Glaube an die Wahrheit einer Verleumdung ist keine Entschuldigung. Es gibt ja auch Leute, die fest daran glauben, daß die Erde eine Scheibe sei. Wie sicher auch meinem gelehrten Freund bekannt ist, bleibt sie trotzdem eine Kugel.«
    »Auch mir ist das bekannt, Mr. Harvester«, versicherte ihm der Richter. »Und sollte Ihr Gegner versuchen, den Geschworenen das Gegenteil weiszumachen, werde ich sie informieren, daß das nicht der Fall ist, aber bislang hat er ja noch nichts dergleichen angedeutet. Fahren Sie fort, Sir Oliver, wenn Sie ein Argument vorzubringen haben.«
    Durch die Galerie ging ein Auflachen. Jemand kicherte.
    »Ich wollte nur festhalten, daß die Gräfin aus Überzeugung gehandelt hat, Euer Ehren«, antwortete Rathbone, »und eben nicht mit boshafter Absicht, um Schaden um seiner selbst willen anzurichten.« Da ihm nichts weiter einfiel, verneigte er sich und kehrte an seinen Platz zurück.
    Harvester erhob sich noch einmal.
    »Mr. Barberini, beruht diese Ihre Meinung über Gräfin Rostovas Aufrichtigkeit auf persönlichem Wissen? Ist Ihnen beispielsweise bekannt, ob sie

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