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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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irgendwelche Beweismittel in den Händen hält?« Die Frage selbst troff vor Sarkasmus, aber der Ton war gerade noch im Rahmen der Höflichkeit.
    »Wenn ich von Beweisen wüßte, würde ich nicht hier herumstehen«, erwiderte Florent stirnrunzelnd. »Vielmehr würde ich damit sofort zu den zuständigen Behörden gehen. Ich habe aber nur gesagt, daß ich davon überzeugt bin, daß sie daran glaubt. Warum sie so gehandelt hat, weiß ich nicht.«
    Harvester maß Zorah mit einem vernichtenden Blick und wandte sich dann wieder Florent zu. »Haben Sie sie denn nicht gefragt? Als Freund von ihr oder der Prinzessin würde man das doch gleich als erstes tun.«
    Rathbone wurde innerlich ganz klamm.
    »Natürlich habe ich sie gefragt!« rief Florent wütend. »Sie hat mir nichts gesagt.«
    »Heißt das, sie hat Ihnen gesagt, daß sie nichts weiß? Oder daß sie Ihnen keine Antwort gab?«
    »Sie gab mir keine Antwort.«
    »Danke, Mr. Barberini. Ich habe keine weiteren Fragen.« Kaum war die Verhandlung vertagt worden, stürzten die Reporter mit ihren eilig zusammengekritzelten Berichten aus dem Saal, damit sie möglichst als erste einen Hansom in die Fleet Street ergatterten. Auf der Straße drängten und stießen sich die Leute, die alle die Kontrahentinnen sehen wollten. Droschken und Kutschen wurden abrupt angehalten. Kutscher schrien durcheinander. Die Stimmen der Zeitungsverkäufer gingen im allgemeinen Lärm unter. Von den Nachrichten über China, Mr. Gladstones Problemen mit den Finanzen oder Mr. Darwins blasphemischen Vorstellungen vom Ursprung der Menschheit wollte niemand etwas wissen, wo sich doch unmittelbar vor ihnen ein ergreifendes Drama abspielte. Liebe, Haß, Treue, Opfer, Mord – und alles zum Anfassen!
    Eskortiert von Harvester auf der einen Seite und einem kräftigen Diener auf der anderen, trat nun Gisela aus dem Haupteingang. Sofort brach die Menge in Jubel aus. Einige warfen ihr Blumen zu, Schals flatterten in der frischen Oktoberluft, und die Männer schwenkten ihre Hüte.
    »Gott segne die Prinzessin!« rief jemand. Begeistert fielen immer mehr mit ein; erst waren es ein paar Dutzend, bald Hunderte.
    Gisela stand still, eine kleine, zerbrechliche Figur von ungeheurer Würde. Allein ihr sich gewaltig bauschender schwarzer Rock schien sie zu halten, so steif und fest sah er aus. Mit der Andeutung eines Winkens dankte sie der Menge, dann ließ sie sich in die schwarz drapierte und mit schwarzen Pferden bespannte Kutsche helfen und fuhr langsam davon.
    Zorahs Abfahrt hätte nicht unterschiedlicher ausfallen können. Die Leute drängten sich noch immer vor, begierig darauf, auch sie zu Gesicht zu bekommen. Doch die Stimmung hatte umgeschlagen. Auf einmal wurden die häßlichsten Beschimpfungen ausgestoßen. Auch wenn keine Gegenstände geworfen wurden, so schob sich Rathbone doch instinktiv in der Manier eines Leibwächters zwischen Zorah und die Meute.
    Er stieß sie fast in den Hansom und kletterte eilig hinterher, um helfen zu können, falls die Menge den Weg versperrte. Doch nur eine Frau sprang vor die Kutsche und schrie mit sich überschlagender Stimme unverständliche Hetzparolen. Das Pferd machte vor Schreck einen Satz nach vorne und riß sie von den Beinen. Sie fing an zu kreischen.
    »Aus ’m Weg, du dumme Kuh!« brüllte der nicht minder erschrockene Kutscher, dem bei dem plötzlichen Ruck die Zügel aus der Hand gefallen waren. »Tut mir leid, Ma’am«, entschuldigte er sich dann sogleich bei Zorah.
    Im Innern wurde Rathbone gegen die Wand geschleudert, und Zorah stieß gegen ihn. Aber einen Moment später fuhren sie sanft los und ließen die schreiende Meute hinter sich zurück.
    Ohne nach links oder rechts zu schauen, setzte sich Zorah rasch wieder auf. Die Röcke strich sie sich nicht gerade. Es wäre ein Eingeständnis gewesen, daß es Schwierigkeiten gegeben hatte, und das ging ihr wohl gegen den Strich.
    Rathbone legte sich mindestens ein Dutzend Einleitungen für ein Gespräch zurecht, verwarf sie aber alle. So beschied er sich damit, Zorahs Gesicht von der Seite her anzusehen. Zunächst war er sich nicht sicher, ob es Angst erkennen ließ oder nicht. Plötzlich streifte ihn ein schrecklicher Gedanke: Hatte sie es am Ende so gewollt? War sie vielleicht süchtig nach der Erregung, die die Gefahr mit sich brachte? Immerhin stand sie im Mittelpunkt. Alle Aufmerksamkeit, aber auch der Haß, die Wut und die Aggressionen galten ihr. Nun, es gab Leute – wenn auch nur sehr wenige –, denen

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