Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
ohnehin in den Hintergrund gerutscht. Es kam kaum noch auf Beweise an, sondern darauf, was die Leute glaubten.
    Unter tumultartigen Szenen wurde der Prozeß vertagt. Die Reporter drängelten zum Ausgang und stießen auf der Straße kurzerhand Passanten beiseite, um nur ja als erste einen Hansom zu ergattern. Schon im Einsteigen brüllten sie dann den Namen ihrer Zeitung und verlangten, unverzüglich zur Redaktion gebracht zu werden. Keiner wußte mehr, was er von der Sache halten sollte. Plötzlich war alles wieder offen. Wer war nun schuldig, wer nicht?
    Rathbone nahm Zorah am Arm und schleifte sie an den Zuschauerreihen vorbei zum Korridor und weiter in ein kleines Zimmer, von wo aus sie durch einen Nebenausgang das Freie erreichten. Erst als sie frische Luft atmeten, stellte er überrascht fest, daß sie mit ihm Schritt gehalten hatte.
    Eigentlich hatte er erwartet, sie würde jetzt triumphieren, doch sie war die Zurückhaltung in Person. Das konnte er nun wirklich nicht mehr verstehen. »Fühlen Sie sich denn nicht bestätigt?« fragte er perplex, um sich sofort zu ärgern, daß er etwas gesagt hatte, aber jetzt war es zu spät, es zurückzunehmen. »Sie haben doch von Anfang an erklärt, daß Gisela Friedrich lieber umbringen würde, als ihn allein nach Felzburg ziehen zu lassen. Jetzt wissen alle, daß ihm die Rückkehr angeboten wurde, unter der Voraussetzung, daß er sich von ihr trennte. Was wollen Sie mehr? Jetzt läßt sich nicht mehr ausschließen, daß einer ihrer Sympathisanten ihn ermordete oder sie vielleicht sogar gemeinsame Sache mit jemandem machte, jeder aus Eigennutz.«
    Wut gemischt mit Spott blitzte in Zorahs Augen auf.
    »Gisela und Klaus etwa?« schnaubte sie. »Sie, um weiter als eine der großen Liebenden dazustehen, und er, um einen Krieg und finanzielle Verluste zu verhindern? Niemals! Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen und weiß, was ich sage!«
    »Dann haben Sie nichts in der Hand!« Er schrie sie fast an.
    »War es Klaus etwa allein? Denn Gisela kann es nachweislich nicht getan haben! Wollen Sie also Klaus anklagen? Oder womöglich die Königin?«
    Sie brach in schallendes Lachen aus.
    Er hätte sie ins Gesicht schlagen können.
    »Nein!« keuchte sie, als sie sich endlich wieder beruhigt hatte.
    »Nein, ich habe es nicht auf die Königin abgesehen. Sie hat ja nichts damit zu tun. Wenn sie Gisela nach dem Leben getrachtet hätte, dann hätte sie sie schon vor Jahren umbringen lassen können, und zwar wesentlich eleganter! Nicht daß sie übermäßig um Friedrich trauern würde. Vor dreizehn, vierzehn Jahren hätte sie das noch getan, aber ich glaube, er war für sie gestorben, als er Gisela seiner Pflicht und seinem Volk vorzog.«
    »Graf Lansdorff dann?« fragte Rathbone.
    »Ich mag Sie, Sir Oliver!« Sie sagte das einfach so, als wäre es ihr gerade eingefallen. »Aber Sie täuschen sich. Gisela hat ihn getötet.«
    »Unmöglich!« Rathbone war der Verzweiflung nahe. »Sie ist die einzige, die es nicht gewesen sein kann. Haben Sie die Beweise nicht mitbekommen?«
    »Doch. Aber ich glaube ihnen einfach nicht.«
    Eine weitere Diskussion war zwecklos. Rathbone ließ Zorah stehen und stapfte wütend nach Hause.
    Am Morgen des nächsten Tages stieg Graf Lansdorff mit Todesverachtung, doch ohne ein Wort des Protests in den Zeugenstand. Seiner Empörung Luft zu machen wäre unter der Würde dieses hochrangigen Soldaten und Staatsmannes gewesen, der zudem der Bruder der gefürchtetsten Königin der deutschen Staaten, wenn nicht Europas war. Wer ihn hocherhobenen Hauptes und mit gestrafften Schultern kerzengerade dastehen und forsch in den Saal blicken sah, unterschätzte ihn bestimmt nicht.
    »Hoheit«, begann Rathbone mit vollendeter Höflichkeit. Dieser Mann betrachtete ihn schon jetzt als seinen Feind, weil er es wagte, ihn in den Zeugenstand zu bitten und auszufragen wie einen gewöhnlichen Bürger. Rathbone war nur nicht klar, ob Lansdorff das Verhör wenigstens insofern erleichtert wurde, als er es nicht in seinem Heimatland über sich ergehen lassen mußte, oder ob das den Sachverhalt zusätzlich verschlimmerte. Allerdings gab es kein Gesetz, das ihn zu einer Aussage zwingen konnte. Vielmehr beugte sich Lansdorff dem Druck der öffentlichen Meinung. Es galt, sich selbst, den Ruf seiner Dynastie vor der Geschichte zu retten.
    »Mr. Barberini hat uns gesagt, daß Sie während Ihres Besuchs in Wellborough Hall mehrere Unterredungen mit Prinz Friedrich führten, um die Möglichkeit

Weitere Kostenlose Bücher