Die russische Gräfin
eines Blicks zu würdigen. »Ob ihre…«, er suchte nach einem passenden Begriff, »… nach außen zur Schau getragene gute Laune von ihrer Ahnungslosigkeit herrührte oder von der Gewißheit, daß Friedrich sie nie verlassen würde, vermag ich nicht zu beurteilen.«
»Hatten Sie zuvor auch schon an ähnlichen gesellschaftlichen Ereignissen teilgenommen, Graf Lansdorff?«
»Nicht, wenn Prinz Friedrich dabei war. Ich bin der Bruder der Königin. Friedrich zog das Exil der Erfüllung seines Auftrags vor.« Rolfs Miene und unterkühlter Ton drückten seinen ganzen Abscheu aus.
»Können wir daraus ableiten, daß Gisela glaubte, daß Friedrich sie nie verlassen würde?«
»Leiten Sie daraus ab, was Sie wollen, Sir.«
»Hatten Sie die Vollmacht, Prinz Friedrich Zugeständnisse zu machen, Graf Lansdorff, oder lag die Entscheidung bei der Königin?«
»Zugeständnisse waren ausgeschlossen, Sir. Ich dachte, ich hätte mich deutlich genug ausgedrückt. Ihre Majestät war nicht bereit, Gisela in ihrem Land zu dulden, weder als Kronprinzessin noch als Friedrichs Gattin. Wenn Friedrich diese Bedingungen ablehnte, mußte ein anderer Führer für unsere Sache gefunden werden.«
»Wer?«
»Das weiß ich nicht.«
Das glaubte Rathbone Rolf nicht. Doch sein Gesicht verriet ihm, daß er nicht mehr darüber erfahren würde. »Die Königin muß von unversöhnlichem Haß gegen Gisela durchdrungen sein«, murmelte er nachdenklich. »Es scheint mir aber mit den Interessen ihres Landes unvereinbar zu sein, wenn sie persönliche Gründe in ihre politischen Entscheidungen miteinfließen läßt…« Es war eigentlich keine Frage, doch Rathbone hoffte, Rolf zur Verteidigung seiner Schwester zu provozieren.
Und er hatte Erfolg damit.
»Es ist kein persönlicher Haß!« blaffte Rolf. »Diese Frau ist als Friedrichs Gattin untragbar… aus mehreren Gründen – und kein einziger davon ist persönlicher Natur.« Er spie das Wort ›persönlich‹ voller Verachtung aus.
Rathbone drehte sich bewußt zur neben Harvester sitzenden Gisela um und starrte sie an. Sie war förmlich die Verkörperung der Trauer, das ideale Opfer. Ihr Anblick bewirkte mehr als jeder noch so berechtigte Einspruch ihres Anwalts. Logischerweise verzichtete Harvester auch auf einen Protest. Er wirkte empört, aber durchaus zufrieden.
Zorah saß kerzengerade auf ihrem Stuhl. Ihr Gesicht war bleich.
Rathbone wandte sich wieder Rolf zu. »Nun, ich könnte mir Gisela sehr wohl als Kronprinzessin vorstellen«, sagte er in unschuldigem Ton. »Sie hat Würde, Ausstrahlung und wird in der ganzen Welt bewundert, geliebt und beneidet. Was will man mehr?«
Rolfs Mundwinkel zuckten. Schmerz einhergehend mit Verachtung waren ihm deutlich anzumerken. »Sie beherrscht die Kunst der Verführung!« stieß er hervor. »Sie drängt sich mit ihrer Schlagfertigkeit überall in den Mittelpunkt und hat Geschmack für elegante Kleidung. Das ist alles.«
Ein empörtes Zischen ging durch den Saal. Ein Geschworener schrie vor Entsetzen auf.
»Also bitte, Sir!« protestierte Rathbone. Plötzlich raste sein Puls, und sein Mund war wie ausgetrocknet. »Das erscheint mir gelinde gesagt dreist und ungerecht, und im schlimmsten Fall von abgrundtiefem persönlichen Haß ge…«
Auf einmal verlor Rolf die Selbstbeherrschung. Er beugte sich weit über die Brüstung und funkelte Rathbone an. »Daß Sie ihre wahre Natur nicht erkennen, ist nicht Ihre Schuld. Das geht ganz Europa so – Gott sei Dank. Und mir wäre es am liebsten, es würde so bleiben, aber Sie zwingen mich, mein Schweigen zu brechen. Wie jedes Königshaus brauchen wir einen Erben. Waldo kann uns keinen geben, auch wenn es nicht an ihm liegt. Doch darüber kann und werde ich nicht mit Ihnen sprechen. Gisela ist auf eigenen Wunsch kinderlos geblieben…«
Plötzlich brachen tumultartige Szenen im Saal aus.
Harvester sprang auf, doch sein Widerspruch ging im allgemeinen Lärm unter.
Vergeblich schlug der Richter mit dem Hammer auf sein Pult. Die Leute schrien weiter durcheinander.
Rathbone sah erst Rolf, dann Gisela an. Alles Blut schien aus ihr gewichen zu sein. Ihre Augen hatten sich geweitet und wirkten hohl, aber er konnte nicht beurteilen, ob aus Angst, Entsetzen, Scham oder Trauer.
Der Lärm hatte sich immer noch nicht gelegt. Er wandte sich Zorah zu. Sie wirkte genauso überrascht und verwirrt wie alle anderen.
Wieder drosch der Richter den Hammer aufs Pult, und endlich kehrte Ruhe ein.
»Graf Lansdorff?« fragte
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