Die russische Gräfin
Vater wollte das Kind und drohte ihr damit, sie im Falle einer Abtreibung bloßzustellen; wenn sie es aber austrug, wollte er es nach der Geburt zu sich nehmen und lieben.«
Auf einmal schluchzte der halbe Saal.
Die Geschworenen hörten mit versteinertem Gesicht zu.
»Sie brachte einen Sohn auf die Welt. Der Vater nahm ihn zu sich und erzog ihn unter größten Mühen ein Jahr lang allein. Dann verliebte er sich in eine Frau aus einer ähnlich angesehenen Familie, eine liebevolle und ehrbare Frau, die bereit war, den Jungen wie ein eigenes Kind aufzuziehen. Verständlicherweise hat der Junge die Wahrheit nie erfahren.«
Rathbone mußte sich räuspern, bevor er zu seiner Stimme zurückfand. »Können Sie das beweisen, Graf Lansdorff? Das sind schwerwiegende Vorwürfe!«
»Selbstverständlich!« Rolf kräuselte verächtlich die Lippen.
»Glauben Sie etwa, ich würde sie sonst vom Zeugenstand aus erheben? Zorah Rostova mag töricht sein…, ich nicht!« Er hielt kurz inne, um mit klirrender Stimme fortzufahren. »Ihr zweites Kind hatte nicht so viel Glück. Sie wurde von Friedrich schwanger, und diesmal gelang es ihr, es abzutreiben. Offenbar kannte sie sich mit Kräutern aus. Das ist eine Kunst, die manche Frauen kultivieren. Unter anderem aus kosmetischen Gründen; aber sie können daraus auch Aphrodisiaka gewinnen und Mittel zur Abtreibung. Danach wurde sie krank und mußte zum Arzt. Ich weiß nicht, ob Sie ihn zu einer Aussage zwingen können, aber unter Eid würde er Sie bestimmt nicht anlügen. Die ganze Angelegenheit bereitete ihm großen Kummer. Aber wenn ihm die ärztliche Schweigepflicht den Mund versiegelt, können Sie sich an Florent Barberini werden. Er wird es Ihnen bezeugen können.« Er unterbrach sich abrupt.
Rathbone mußte konkret werden. Er hatte keine andere Wahl.
»Aber das Kind, das sie auf die Welt gebracht hat, Graf Lansdorff? Giselas Sohn! Das läßt sich doch sicher beweisen?«
Rolf wandte sich mit fragender Miene an den Richter.
Dessen Züge drückten Bedauern, doch nichtsdestoweniger Entschlossenheit aus. »Es tut mir leid, Graf Lansdorff, aber der Vorwurf ist zu schwerwiegend, um als bloße Behauptung im Raum zu hängen. Sie müssen ihn belegen, wenn Sie es können.«
»Sie hatte eine Affäre mit Baron Bernd Ollenheim« , antwortete Rolf heiser. »Er nahm sein Kind zu sich, und als er heiratete, liebte seine Frau es wie ihr eigenes.«
Er war fertig, doch selbst wenn er noch etwas zu sagen gehabt hätte, wäre er nicht mehr gehört worden. Im Publikum brach plötzlich ein Sturm der Entrüstung los, bei dem man sein eigenes Wort nicht mehr verstand. Mit einem Schlag war die leidenschaftliche Bewunderung für Gisela in blanken Haß umgeschlagen.
Harvester wirkte wie der Augenzeuge eines tödlichen Unfalls. Aus seinem Gesicht war jede Farbe gewichen. Er machte Anstalten aufzustehen, überlegte es sich aber wieder anders und öffnete mehrmals den Mund, nur um zu merken, daß ihm die Worte fehlten.
Gisela saß da wie zur Salzsäule erstarrt. Was immer sie empfand, nichts davon spiegelte sich in ihren Zügen wider. Nichts, was sich als Bedauern werten ließe. Kein einziges Mal drehte sie sich nach Bernd Ollenheim um, obwohl ihr Rolfs mitleidiger Blick in die Galerie und die daraufhin eintretende Unruhe in der Menge verraten haben mußten, daß er da war.
Rathbone musterte Zorah. Hatte sie Bescheid gewußt? Hatte sie erwartet oder sogar darauf gebaut, daß Rolf es aufdecken würde? Mit offenem Mund, den sie nicht mehr zubekam, starrte sie vor sich hin – ein Zeichen, daß sie genauso unter Schock stand wie alle anderen, außer Gisela.
Es dauerte Minuten, bis der Tumult sich soweit legte, daß Rathbone sich Gehör verschaffen konnte. »Danke, Graf Lansdorff«, sagte er schließlich, halb an den Saal, halb an Rolf gewandt. »Wir wissen zu würdigen, daß diese Enthüllung für Sie sehr schmerzhaft gewesen sein muß, zumal Unschuldige betroffen sind. Jedoch erklärt sie uns Königin Ulrikes abgrundtiefe Verachtung für Gisela…«, auch er vergaß geflissentlich ihren Titel, »jetzt verstehen wir, warum sie ihre Rückkehr nach Felzburg, womöglich sogar als zukünftige Königin, auf keinen Fall dulden konnte. Wäre der Skandal bekanntgeworden, hätte das verheerende Folgen für das Land und den Thron gehabt. Das konnte sie auf keinen Fall zulassen.«
Er wandte sich nun wieder ausschließlich Rolf zu. »Graf Lansdorff, war Prinz Friedrich die Existenz von Giselas Sohn
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