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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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aber im Lichtschein der Kutschenlampe schimmerten seine Tränen, und seine Hände zitterten.
    Robert sah über ihn hinweg Dagmar an. »Es wird neblig, Mutter. Geh bitte schon mal rein, sonst holst du dir noch den Tod.« Er zwang sich zu einem Lächeln, das jedoch immer zärtlicher wurde und schließlich all die Erinnerungen an das Glück, die Liebe, die sie ihm gegeben hatte, in sich barg.
    Nach ihm kletterte Hester aus der Kutsche und folgte den Ollenheims ins Haus. Die Kälte nahm sie nicht wahr, noch spürte sie, daß sie sich in den Pfützen die Rocksäume naß gemacht hatte und ihre Füße ganz taub waren.
    Kaum hatte Victoria Roberts Brief erhalten, eilte sie auch schon zu ihm. Sie fuhr sogar gleich mit dem Boten mit, den man mit der Kutsche zu ihr geschickt hatte.
    Robert empfing sie allein. Zum erstenmal war die Tür zu seinem Zimmer geschlossen, während Hester mit Bernd und Dagmar im Salon wartete.
    Bernd schritt unentwegt hin und her. Sein Gesicht war blaß, und seine Augen richteten sich immer wieder auf die Tür. Unvermittelt starrte er Hester an. »Was wird sie tun?« fragte er.
    »Was wird sie ihm sagen? Wird sie ihn akzeptieren können, oder wird sie über seine… Herkunft reden wollen?« Auch er brachte es nicht übers Herz, Gisela als Roberts Mutter zu bezeichnen.
    »Wenn man bedenkt, was für ein Mensch ihr Vater war, wird sie ihn ganz bestimmt verstehen«, antwortete Hester leise, aber voller Selbstvertrauen. »Wird Robert das auch akzeptieren können?«
    »Ja«, beeilte sich Dagmar zu sagen und lächelte. »Niemand ist für die Sünden seines Vaters verantwortlich. Und er liebt sie mehr, als er eine gewöhnliche Frau lieben könnte, die nie wirkliche Schicksalsschläge zu überstehen hatte. Hoffentlich bringt er den Mut auf, um ihre Hand anzuhalten. Und hoffentlich hat sie das Vertrauen, ihn anzunehmen. Glauben Sie, daß sie ja sagen wird?«
    »Ja«, erwiderte Hester mit fester Stimme. »Ich glaube, sie wird es von sich aus tun. Aber falls sie Zweifel hat, werden wir ihr Kraft geben.«
    Dagmar nickte. »Natürlich werden wir das. Ihr Glück wird anders sein als das der meisten, aber es wird in jeder Hinsicht genauso tief sein, vielleicht sogar noch tiefer.« Sie sah zu Bernd auf und streckte ihm die Hand entgegen.
    Er blieb stehen und ergriff sie mit so festem Druck, daß sie zusammenzuckte. Doch sie machte keine Anstalten, sie zurückzuziehen.
    Er lächelte Hester an.
    »Danke.«

12
    Am nächsten Morgen, einem Samstag, schlief Hester länger. Doch kaum war sie aufgewacht, ging ihr schon wieder der Prozeß durch den Kopf. Ein Ende war noch lange nicht abzusehen. In der Frage nach Friedrichs Mörder tappte man nach wie vor im dunkeln. Juristisch gesehen, wenn auch nicht moralisch, war Gisela die Geschädigte. Mit der Behauptung, sie sei des Mordes schuldig, hatte Zorah sie eindeutig verleumdet. Die Geschworenen hatten gar keine andere Wahl, als im Sinne Giselas zu entscheiden. Diese wiederum hatte jetzt nichts mehr zu verlieren und würde ihren Ruf selbst dann nicht mehr zurückgewinnen, wenn sie großzügig auf Schmerzensgeld verzichtete. Sie war ruiniert und würde vielleicht bald jeden Penny zusammenkratzen müssen, womöglich sogar bei anderen. Es konnte gut sein, daß von nun an ihr einziger Trost darin bestehen würde, sich an der Frau zu rächen, der sie ihr Unglück verdankte.
    Zorahs Niederlage würde einen Gesichtsverlust für Rathbone bedeuten. Und damit nicht genug! Schlimmstenfalls drohte ihr sogar selbst eine Anklage wegen Mordes.
    Hester stand auf und zog ihr bestes Kleid an. Es war aus schlichtem rostrotem Stoff geschnitten und hatte einen schwarzen Samtkragen. Nicht daß sie allzu großen Wert auf ihre Aufmachung legte, aber sie wollte heute Zuversicht demonstrieren. Darum frisierte sie sich auch möglichst schmeichelhaft und trug etwas Farbe an den Wangen auf. Fast kam sie sich vor wie ein Soldat, der sich noch einmal die Stiefel wichst und seinen roten Schal anlegt, bevor er in die Schlacht zieht. Auf die Kampfmoral kam es an; sie war der erste Schritt zum Sieg.
    Um fünf nach elf traf sie in Rathbones Kanzlei ein. Monk war bereits da. Draußen war es kalt und naß, aber im Kamin brannte ein munteres Feuer, das zusammen mit den Lampen für eine behagliche Atmosphäre sorgte.
    Monk, der heute ganz in Dunkelbraun gekleidet war, stand vor dem Kamin. Wie um einem Argument Nachdruck zu verleihen, hatte er beide Hände erhoben. Rathbone thronte mit übereinandergeschlagenen Beinen

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