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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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der Zeitung liest, wird sie es von einem Zeitungsjungen in der Straße hören! Man wird es ihr erzählen! Hester…, ich muß der erste sein, der es ihr sagt.« Die Worte sprudelten geradezu aus ihm heraus. »Bringen Sie mich zu ihrer Wohnung! Ich muß derjenige sein, der es ihr sagt! Sie darf es von niemand anderem erfahren. Wo wohnt sie überhaupt? Ich habe sie nie gefragt!«
    »Ihr Zimmer ist in Bloomsbury. Aber Sie können jetzt nicht zu ihr. Sie müssen warten, bis sie zu Ihnen kommt…«
    »Nein! Ich muß es ihr sagen. Ich kann es nicht ertragen, daß …«
    »Sie müssen es ertragen«, sagte sie bestimmt. »Denken Sie an Ihre Mutter…, ich meine Dagmar, nicht die andere Frau, die kein Recht auf Sie hat. Überlegen Sie nur, was Dagmar jetzt empfindet. Und denken Sie an Ihren Vater, der Sie liebte, bevor Sie geboren wurden, der um Ihr Leben gekämpft hat! Sie brauchen Ihre Hilfe. Sie müssen wissen, daß es Ihnen gutgeht, daß Sie sie verstehen.«
    »Aber ich muß vorher mit Victoria re…«
    Sie drückte seine Hand. »Robert, glauben Sie etwa, Victoria würde nicht wollen, daß Sie gerecht, zärtlich und liebevoll zu den Menschen sind, die Ihnen Ihr Leben lang ihre Liebe gegeben haben?«
    Es dauerte Minuten, bis seine Verkrampfung nachließ. Sie ratterten schwankend durch die langsam dunkler werdenden Straßen. Die Lichter der Laternen, an denen sie vorbeifuhren, flackerten und verschwanden hinter ihnen im Dunst.
    »Na ja…, es wird wohl so sein«, räumte er zu guter Letzt ein.
    »Aber ich muß sie noch heute abend sehen! Ich muß ihr eine Nachricht schicken! Ich muß es ihr sagen, bevor sie es von anderen hört, sonst habe ich vielleicht nie mehr die Chance, ihr zu sagen, daß ich sie liebe. Sie wird wissen, daß meine Mutter eine…, weiß Gott, was sie ist! Und ich bin Teil dieser Frau und will es nicht sein. Ich wehre mich so verzweifelt dagegen, daß ich mir fast wünsche, ich wäre nie geboren worden! Wie kann es so etwas geben, Hester? Wie kann es sein, daß man als Teil eines Menschen auf die Welt kommt, den man haßt und verabscheut? Das ist eine unerträgliche Ungerechtigkeit!«
    »Sie sind kein Teil von ihr«, sagte Hester mit fester Stimme.
    »Sie sind Sie selbst und das, was Sie sein wollen. Was diese Frau auch getan hat, Sie können nichts dafür. Natürlich ist es schlimm für Sie, weil die Menschen grausam urteilen können. Und Sie haben recht, es ist ungerecht. Aber Sie sollten klug genug sein und sich nicht die Schuld dafür geben.«
    Sie wartete einen Moment, bis eine Brauereikutsche vorbeigefahren war. »Kein Teil von ihr hat etwas mit Ihnen zu tun, es sei denn, Sie wollen es so«, fuhr sie fort. »Sünden sind keine Krankheit. Sie werden nicht von den Eltern auf die Kinder vererbt wie irgendeine Behinderung. Auch kann man keine Schuld weitergeben. Und das ist ja das Besondere an der Verantwortung. Man kann sie keinem Menschen abnehmen, wie sehr man ihn auch liebt, und man kann auch niemandem die eigene aufbürden. In dieser Hinsicht stehen wir alle jeder für sich da. Was immer Gisela getan hat – und sie kann Friedrich nicht ermordet haben –, Sie haben es vor niemandem zu verantworten, weder vor der Gesellschaft noch vor Victoria, noch vor sich selbst.«
    Ihr Griff um seine Hand wurde fester. »Hören Sie mir doch zu, Robert! Sie sind jetzt selbst verantwortlich für das, was Sie tun, für die Art und Weise, wie Sie Ihren Vater und Dagmar behandeln. Sie sind dafür verantwortlich, wenn Sie nur noch Ihre Schmerzen sehen und sich von den Ihren abwenden.«
    Er ließ völlig erschöpft den Kopf sinken. Da schlang sie den Arm um ihn und drückte ihn an sich, während ihre andere Hand ihm die Haare streichelte wie einem Kranken oder einem kleinen Kind.
    Mit gedämpfter Stimme bat sie den Kutscher, langsamer zu fahren. Bernd und Dagmar sollten vor ihnen eintreffen.
    Als sie in der Hill Street ankamen, hatte Robert sich etwas gefaßt. Schon wurde die Tür aufgerissen. Mit weißem Gesicht stand Bernd vor ihnen. Einen Schritt hinter ihm wartete Dagmar.
    »Hallo, Vater«, sagte Robert ruhig. Sein Gesicht verriet wohl noch Spuren seiner heftigen Emotionen, doch das Laternenlicht gab sie nicht preis. »Möchtest du mir aus der Kutsche helfen? Trotz der Decke war es schrecklich kalt. Hoffentlich habt ihr im Salon schon kräftig eingeheizt.«
    Bernd stutzte. Ungläubig sah er Robert in die Augen, dann stürzte er vor und legte unbeholfen beide Arme um ihn. Er tat so, als wolle er ihm nur helfen,

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