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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zum Ebenholzregal hinüber. Die Bücher waren in verschiedenen Sprachen: deutsch, französisch, russisch und englisch. Es waren Romane, Gedichtbände, Reisebände und auch philosophische Werke darunter. Er blätterte in zweien davon und stellte fest, daß sie gelesen, aber pfleglich behandelt worden waren. Sie standen also nicht um des bloßen Effekts willen herum, sondern wurden von jemandem benutzt, der gerne las.
    Zu Monks Enttäuschung schien es die Gräfin nicht eilig zu haben. Bestimmt gehörte sie zu der Sorte von Frauen, die Männer warten ließen, um ihnen ihre Macht zu zeigen. Er wollte sich eben wieder in die Mitte des Raumes begeben, als er erstarrte. Sie stand wortlos in der Tür und beobachtete ihn. Rathbone hatte ihm verschwiegen, wie schön sie war – ein sträfliches Versäumnis! Er wußte nicht warum, aber er hatte sich eine Durchschnittserscheinung vorgestellt. Sie hatte dunkles Haar, das hinten locker zusammengebunden war. Von Größe und Figur her war sie nicht bemerkenswert, aber das Gesicht war aufregend. Über hohen Wangenknochen hatte sie leicht schräg stehende, leuchtend grüne Augen. Aber das Faszinierendste an ihr waren nicht die äußeren Merkmale, sondern der Humor, die Intelligenz, der unbändige Lebensdrang, die aus ihren Zügen sprachen. Ihr gegenüber mußte jeder andere Mensch behäbig und apathisch wirken. Monk registrierte gar nicht, was sie trug. Es hätte irgendwas sein können; darauf kam es nicht an.
    Sie musterte ihn neugierig und machte immer noch keine Anstalten, auf ihn zuzugehen. Um ihre Lippen spielte die Andeutung eines – sei es interessierten, sei es amüsierten – Lächelns. »Sie sind also der Mann, der Sir Oliver unterstützen wird. Ich hatte Sie mir ganz anders vorgestellt.«
    »Was ich gewiß als Kompliment werten soll«, bemerkte Monk trocken.
    Jetzt lachte sie. Es waren reiche, leicht rauhe Laute ungetrübter Heiterkeit. Sie ging nun völlig unbefangen auf den Stuhl in der Mitte des Raums zu. »Unbedingt«, stimmte sie zu.
    »Nehmen Sie doch Platz, Mr. Monk. Es sei denn, Sie fühlen sich im Stehen wohler.« In einer einzigen anmutigen Bewegung ließ sie sich, den Rücken gerade durchgestreckt, die Beine seitlich angezogen, auf dem Stuhl nieder. Der sicherlich unbequeme Reifrock schien sie so gut wie nicht zu behindern. Sie sah ihm unverwandt in die Augen. »Was möchten Sie von mir erfahren?«
    Monk hatte sich das auf dem Herweg reiflich überlegt. Er wollte sie nicht nach ihren Gefühlen, Meinungen oder Überzeugungen über die Motive anderer befragen. Dafür war später auch noch Zeit, wenn zum Beispiel mehrdeutige Informationen bewertet werden mußten. Ausgehend von Rathbones Andeutungen, hatte er sich auf jemand weit weniger Intelligenten eingestellt, nichtsdestoweniger wollte er an seinem ursprünglichen Plan festhalten.
    Er machte es sich auf dem Ledersofa bequem. »Erzählen Sie mir doch, was seit dem ersten Ereignis, das Sie für relevant halten, geschehen ist. Bitte beschränken Sie sich auf das, was Sie selbst gesehen oder gehört haben. Wenn Sie sagen, daß Sie etwas wissen, dann erwarte ich, daß Sie es beweisen können.« Er beobachtete sie aufmerksam auf irgendwelche Anzeichen von Irritation oder Überraschung hin, entdeckte aber nichts.
    Sie faltete in der Manier eines braven Mädchens die Hände.
    »Wir alle genossen zusammen ein vorzügliches Abendessen. Gisela war bester Laune und unterhielt die ganze Gesellschaft mit Anekdoten über Venedig, wo sie und Friedrich die meiste Zeit verbrachten. Dort lebten sie mit ihrem kleinen Hofstaat im Exil. Klaus von Seidlitz versuchte immer wieder, das Gespräch auf die Politik zu lenken, aber da dieses Thema uns alle langweilte, hörte niemand hin, am allerwenigsten Gisela. Sie ließ auch ein, zwei abfällige Bemerkungen über ihn fallen. An ihre Formulierungen kann ich mich heute nicht mehr erinnern, aber wir bogen uns alle vor Lachen, bis auf Klaus natürlich. Niemand mag Witze auf seine Kosten, vor allem dann nicht, wenn sie wirklich lustig sind.«
    Monk beobachtete sie voller Interesse. Zugleich ließ er seine Phantasie schweifen und spekulierte darüber, wie diese Frau wohl sein mochte, wenn sie unbelastet war vom Zorn der Gesellschaft und einem Prozeß, der ihren Ruin bedeuten konnte. Warum um alles auf der Welt hatte sie es nur darauf angelegt, ihren Verdacht zu äußern? Hatte sie nicht geahnt, was das zur Folge haben konnte? War sie eine derart fanatische Patriotin? Oder hatte sie Friedrich

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