Die russische Gräfin
tun?«
»Am Tag des Unfalls hatten sie sich zu einem Picknick mit ihm verabredet. Hat sie Ihnen das etwa nicht gesagt?«
»Nein«, erwiderte Rathbone unwirsch. Er hatte Monks sarkastischen Ton sehr wohl verstanden. »Wahrscheinlich, weil es irrelevant war. Es sei denn, Sie sind zu der Auffassung gelangt, daß der Unfall bewußt herbeigeführt wurde.«
»Nein, das bin ich nicht. Sogar die Gräfin ist sich sicher, daß zumindest bei diesem Sturz der Schein nicht trügt. Sie glaubt, daß Gisela ihren Mann vergiftet hat, auch wenn sie nicht weiß, wie oder womit, und nur eine eher allgemeine Vorstellung vom Motiv hat.«
Rathbone lächelte, ohne allerdings seine Zähne zu entblößen.
»Sie muß Sie ja ganz schön durcheinandergebracht haben, Monk. Sonst würden Sie ihren Standpunkt nicht so unzutreffend wiedergeben. Sie ist sich über das Motiv sehr wohl im klaren. Es bestand Grund zur Annahme, daß Friedrich ohne Gisela zurückkehren und sich in seiner Heimat von ihr scheiden lassen würde. Dann wäre es vorbei gewesen mit ihrer Glanzrolle als von der ganzen Welt beneidete reiche, schillernde Liebende. Statt dessen wäre sie eine von Alimenten abhängige Exprinzessin gewesen und von ihren vormaligen Freunden nur noch bemitleidet worden. Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich ihre Gefühle angesichts solcher Alternativen vorzustellen.«
»Sie glauben auch, daß sie ihn ermordet hat?« Monk fiel aus allen Wolken. Dabei wunderte ihn nicht so sehr, daß Rathbone der Gräfin glaubte – das konnte er gut nachvollziehen – , sondern daß er sie tatsächlich vor Gericht verteidigten wollte. Töricht war noch die höflichste Bezeichnung dafür; eigentlich hätte er sagen müssen: Der Mann hatte den Verstand verloren!
»Ich halte es für höchst wahrscheinlich, daß er ermordet wurde«, verbesserte Rathbone ihn kühl und lehnte sich mit verkniffener Miene zurück. »Ich möchte Sie bitten, Lord und Lady Wellborough auf ihrem Landsitz aufzusuchen. Man wird Sie dort Baron Stephan von Emden vorstellen, einem Freund der Gräfin, den Sie aber schon vorher kennenlernen werden.« Er schürzte die Lippen. »Sie müssen alles in Erfahrung bringen, was nach dem Unfall geschehen ist. Dazu werden Sie das Gespräch mit den Bediensteten suchen müssen, um sie zu befragen. Und beobachten Sie die Leute, die damals zugegen waren. Offenbar haben diese Anschuldigungen sie wieder zusammengeführt, was ja wohl nachvollziehbar ist. Hoffentlich werden Ihre Beobachtungen Ihnen wenigstens Schlüsse darüber erlauben, wer alles die Möglichkeit hatte, den Prinzen zu vergiften, und ob diese vor Gericht verwertet werden können. Weiter werden Sie den Arzt befragen müssen, der den Prinzen behandelte und den Totenschein ausstellte.«
Einen Moment war nur der Verkehrslärm von draußen zu hören, während in der Kanzlei Stille herrschte.
Monk sah viele Gründe, den Fall anzunehmen: Rathbone war dringend auf Hilfe angewiesen, und ihm selbst würde es immense Genugtuung bereiten, wenn dieser Mann einmal in seiner Schuld stünde. Außerdem hatte er zur Zeit keine nennenswerten Aufträge und konnte eine neue Tätigkeit und das damit verbundene Honorar gut gebrauchen. Aber vor allem lockte ihn die Neugierde. »Natürlich nehme ich an«, sagte er mit einem mehr gierigen als freundlichen Lächeln.
»Schön. Ich bin Ihnen sehr dankbar. Sie bekommen von mir die Adresse des Barons von Emden, damit Sie sich ihm vorstellen können. Sie könnten ihn vielleicht als sein Butler zum Landsitz der Wellboroughs begleiten…«
Monk riß entsetzt die Augen auf. »Was?«
»Sie könnten seinen Butler spielen«, wiederholte Rathbone lächelnd. »Das würde Ihnen eine hervorragende Möglichkeit eröffnen, mit den anderen Bediensteten ins Gespräch zu kommen und von ihnen zu erfahren, was…« Er hielt abrupt inne. Sein Lächeln erstarrte. »Vielleicht können Sie auch als bloßer Bekannter mitfahren, wenn Sie sich dabei wohler fühlen. Mir ist eingefallen, daß Sie nicht unbedingt mit den Pflichten eines Dieners vertraut sind.«
Monk erhob sich. »Ich werde ihn als Bekannter begleiten«, erklärte er steif. »Falls ich etwas in Erfahrung bringe, lasse ich es Sie wissen. Sie werden ohne Zweifel gespannt auf meine Meldung warten.« Und damit wünschte er Rathbone eine gute Nacht, packte seine Unterlagen und ging.
Sechs Tage nachdem sich Zorah Rostova an Rathbone um Hilfe gewandt hatte, traf Monk auf dem Landsitz der Wellboroughs ein. Es war ein goldener Herbsttag
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