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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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einmal selbst geliebt? Was für eine verzehrende Leidenschaft mochte wohl hinter ihren wiederholt vorgebrachten Beschuldigungen stecken?
    Inzwischen war sie bei den Ereignissen des folgenden Tages angelangt. »Es war am Vormittag.« Sie musterte ihn mißtrauisch. Ihr war nicht entgangen, daß er nur mit halbem Ohr zuhörte. »Wir sollten uns zu einem gemeinsamen Picknick mit dem Prince of Wales treffen. Die Bediensteten führten mit Körben beladene Ponys zur vereinbarten Stelle. Gisela und Evelyn folgten mit einer Gig nach.«
    »Wer ist Evelyn?« unterbrach Monk. Auf den britischen Thronfolger ging er bewußt nicht ein. Bei seiner bloßen Erwähnung hatte er ein flaues Gefühl in der Magengrube bekommen. Rathbone mußte vollständig übergeschnappt sein!
    »Klaus von Seidlitz’ Frau«, antwortete Zorah. »Sie reitet auch nicht.«
    »Gisela reitet nicht?«
    Ein Anflug von Belustigung huschte über ihr Gesicht. »Nein. Hat Ihnen Sir Oliver das nicht gesagt? Der Gedanke, sie könnte den Unfall absichtlich herbeigeführt haben, wäre abwegig. Zu etwas so Wagemutigem oder Gefährlichem wäre sie nie in der Lage. Die wenigsten sterben nach einem Sturz vom Pferd. Dabei bricht man sich allenfalls ein Bein oder vielleicht das Rückgrat. Und einen Krüppel hätte sie nun wirklich nicht gebrauchen können!«
    »Aber auch in diesem Falle hätte er nicht mehr heimkehren und den Widerstand gegen die Vereinigung anführen können«, warf Monk ein.
    »Dazu hätte er ja nicht unbedingt auf einem Schimmel voranreiten müssen«, entgegnete sie mit einem spöttischen Lachen. »Er hätte auch im Rollstuhl die Galionsfigur abgeben können.«
    »Und Sie glauben, er wäre auch unter solchen Umständen zurückgekehrt?«
    Sie zögerte nicht eine Sekunde. »Er hätte es mit Sicherheit in Erwägung gezogen. Er hat nie den Glauben daran aufgegeben, daß sein Volk ihn eines Tages wieder umjubeln würde.«
    »Aber es stand doch außer Zweifel, daß man sie nie akzeptieren würde«, gab er zu bedenken.
    »Sie sagen es.«
    »Warum glaubte Friedrich dann immer noch daran?«
    Sie zuckte fast unmerklich mit den Schultern. »Um das zu verstehen, muß man Friedrich kennen. Er war zum König geboren. Während seiner gesamten Kindheit und Jugend wurde er darauf vorbereitet. Und Ulrike ist eine strenge Zuchtmeisterin. Er befolgte jede Regel. Die Krone war zugleich eine Bürde und ein Preis.«
    »Aber er hat das alles für Gisela aufgegeben!«
    Ein Ausdruck von Überraschung trat in ihre Augen. »Wie ich das sehe, hielt er es bis zum letzten Moment nicht für möglich, daß man ihn vor die Alternative stellen würde. Aber dann war es natürlich zu spät, auch wenn er nie verstehen konnte, daß ein Kompromiß ausgeschlossen war. Er war davon überzeugt, daß man am Hof nachgeben und ihn zurückholen würde. Seine Verbannung sah er immer als eine Geste, aber nicht als unumstößliche Entscheidung an.«
    »Anscheinend hatte er sich nicht getäuscht«, meinte Monk.
    »Sie wollten ihn ja.«
    »Aber nicht um den Preis, daß er Gisela mitbrachte. Und das begriff er nicht – im Gegensatz zu ihr! Sie war weitaus realistischer.«
    »Der Unfall…«, half er nach.
    »Er wurde ins Haus zurückgebracht«, erklärte sie.
    »Selbstverständlich wurde sofort der Arzt geholt. Leider war ich nicht dabei, als er seine Diagnose gab, und kann nur das wiederholen, was mir gesagt wurde.«
    »Und was wurde Ihnen gesagt?«
    »Daß Friedrich sich mehrere Rippen, an drei Stellen das rechte Bein und das rechte Schlüsselbein gebrochen und außerdem innere Prellungen erlitten hatte.«
    »Prognose?«
    »Wie bitte?«
    »Wie beurteilte der Arzt die Aussichten auf Genesung?«
    »Er rechnete mit einer langsamen Besserung, sah aber keine unmittelbare Lebensgefahr, sofern keine unentdeckten inneren Verwundungen vorlagen.«
    »Wie alt war Friedrich?«
    »Zweiundvierzig.«
    »Und Gisela?«
    »Neununddreißig – warum?«
    »Er war also kein junger Mann mehr. Und dann dieser schwere Sturz.«
    »Er starb nicht an seinen Verletzungen. Er wurde vergiftet.«
    »Woher wissen Sie das?« Zum erstenmal zögerte sie.
    Er wartete, den Blick auf ihre Augen gerichtet.
    Schließlich meinte sie, erneut mit der Andeutung eines Achselzuckens: »Wenn ich es beweisen könnte, wäre ich zur Polizei gegangen. Ich weiß es, weil ich eine gute Menschenkennerin bin. Das bin ich im Laufe der Jahre geworden. Ich habe die Entfaltung des Verhaltensmusters von Anfang an verfolgt. Sie spielt die untröstliche Witwe

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