Die russische Gräfin
ich sie noch erklären. Das Dinner wird um neun Uhr gereicht. Gegen acht werden wir uns wohl alle im Salon versammelt haben. Graf Lansdorff und Graf von Seidlitz unternehmen gerade einen Spaziergang. Ich glaube, sie wollen sich das Jagdgebiet ansehen. Schießen Sie auch, Mr. Monk?«
Monk konnte sich nicht erinnern, je ein Gewehr in der Hand gehalten zu haben. Abgesehen davon hatten Leute seines Standes so gut wie keine Gelegenheit zur Jagd. »Leider nein, Lady Wellborough. Ich bevorzuge Wettkämpfe, bei denen alle die gleiche Chance haben.«
»Gute Güte!« rief sie mit einem fröhlichen Lachen.
»Boxkämpfe mit bloßen Fäusten? Oder Pferderennen? Oder spielen Sie Billard?«
Er hatte von keiner dieser Sportarten eine Ahnung. Seine Zunge war zu schnell gewesen, und jetzt riskierte er, sich lächerlich zu machen. »Ich werde mich allem stellen, was mir angeboten wird«, erwiderte er und spürte schon, wie seine Wangen zu brennen begannen. »Mit Ausnahme der Betätigungen, bei denen ich die anderen Gäste durch mein Ungeschick gefährden könnte.«
»Wie originell!« rief sie. »Ich freue mich schon aufs Dinner.« Monk graute bereits davor.
Der Abend sollte Monks Nerven in dem Maße strapazieren, wie er es befürchtet hatte. Nun, mit seinem Aussehen war alles in Ordnung. Das konnte ihm der Spiegel bestätigen. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er auch immer auf gute Kleidung Wert gelegt. Das bewiesen schon seine Schneider-, Hemdmacher und Schusterrechnungen. Da er einen Großteil seines Berufslebens im Polizeidienst verbracht hatte, hatte er beträchtliche Summen für seine äußere Erscheinung ausgeben müssen. So hatte er es nicht nötig, sich Geld zu leihen, um sich für diese Gesellschaft extra herauszuputzen.
Aber mit der Etikette am Tisch war es etwas anderes. All diese Leute waren mit demselben Lebensstil aufgewachsen, waren miteinander und noch mit Hunderten anderen vertraut, von denen er noch nie gehört hatte. Binnen zehn Minuten würden sie wissen, daß er in jeder Hinsicht ein Außenseiter war. Welchen plausiblen Grund konnte er nur angeben, damit er nicht nur seine Würde bewahren, sondern außerdem die Ehre dieses Dummkopfes Rathbone retten konnte?
Sie saßen zu acht am Tisch, eine extrem kleine Gruppe für einen gesellschaftlichen Anlaß, auch wenn die Zeit der im Winter üblichen großen Ereignisse erst noch bevorstand, bei denen die Gäste oft über einen Monat blieben und nach Belieben kamen und gingen.
Monk war allen recht zwanglos vorgestellt worden, als hätte man mit seinem Besuch gerechnet und brauchte ihn nicht weiter zu erklären. Ihm gegenüber saß in militärisch steifer Haltung Friedrichs Onkel, der Bruder der Königin, Graf Lansdorff. Er war ein recht großgewachsener Mann mit am Kopf klebendem dunkelbraunem Haar, das sich über der Stirn gelichtet hatte. Sein Gesicht wirkte freundlich, doch die dünnen Lippen und die breite Nase ließen keine Zweifel an seiner Willenskraft. Er sprach ein geschliffenes, präzises Englisch, und seine Stimme war wohltönend. Für Monk hatte er nur beiläufiges Interesse übrig.
Klaus von Seidlitz war sein glattes Gegenteil. Er war eine imposante Erscheinung, größer als alle anderen und breitschultrig, und er wirkte eher lässig. Weil sein dichtes Haar ihm immer wieder ins Gesicht fiel, strich er es stets aufs neue mit der Hand zurück. Er hatte runde blaue Augen unter Brauen, die am Rand schräg abfielen. Seine Nase war gekrümmt, als hätte er sie sich einmal gebrochen. Auch wenn er liebenswürdig wirkte und Witze erzählte, so verriet sein Gesicht doch eine Wachsamkeit, die den ersten Eindruck Lügen strafte. Monk fragte sich, ob dieser Mann nicht weitaus schlauer und gefährlicher war, als er zu sein vorgab.
Seine Frau, Gräfin Evelyn, gehörte zu den entzückendsten Personen, denen Monk je begegnet war. Es fiel ihm schwer, sie nicht länger anzusehen, als den guten Sitten entsprach. Gerne hätte er auf den Rest der Gesellschaft verzichtet und sich statt dessen in ein angeregtes Gespräch mit ihr vertieft. Sie war trotz ihrer äußerst femininen Figur zierlich, aber was ihn wirklich verzauberte, das war ihr Gesicht. Sie hatte große braune Augen, die vor Witz und Intelligenz zu sprühen schienen. Ihr Mund lächelte die ganze Zeit, und wenn man sie so sah, konnte man meinen, daß sie sich ungemein wohl fühlte. Sie gab auch offen zu, daß sie Monk hochinteressant fand. Die Tatsache, daß er nicht die gleichen Leute kannte wie sie,
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