Die russische Gräfin
hätte es jeder von den Leuten sein können, die an diesem prächtigen Tisch miteinander sprachen, lachten und die Weingläser an ihre Lippen führten, während ihre Diamanten im Kerzenlicht funkelten.
Als sie den Spargel aufgegessen hatten, wurde das Geflügel gebracht, Wachteln, Perlhuhn, Rebhuhn und Birkhahn, und natürlich noch mehr Wein. Monk hatte im ganzen Leben noch nicht so viele Delikatessen gesehen.
Um ihn herum wirbelte die Konversation durch die Themen Theater, Mode, wer in welcher Begleitung bei welcher gesellschaftlichen Funktion gesehen worden war, mögliche Verlobungen oder Hochzeiten. Monk kam es so vor, als sei jede bedeutende Familie mit den anderen über Verzweigungen verwandt, die zu kompliziert waren, um sie zu entwirren. Je länger der Abend dauerte, desto isolierter fühlte er sich. Vielleicht hätte er doch Rathbones Vorschlag, so abstoßend er auch gewesen war, aufgreifen und als Stephans Diener auftreten sollen. Sein Stolz wäre angekratzt worden, aber die Folgen wären nicht so schlimm, wenn man ihn womöglich als Hochstapler bloßstellte. Wie ihm seine Rolle hier doch gegen den Strich ging! Als ob ihm die Anerkennung anderer soviel wert wäre, daß er dafür auch noch log! Wut stieg in ihm hoch, so daß er immer mehr verkrampfte, bis er völlig steif auf seinem mit Seide bezogenen Stuhl saß und sein Rücken schmerzte.
»Ich bezweifle, daß sie uns einlädt«, sagte Brigitte in bedauerndem Ton auf irgendeine Bemerkung von Klaus hin.
Er zog eine verdrießliche Miene. »Warum nicht? Ich gehe immerhin. Schon seit… ’53.«
Evelyn hielt sich die Finger vor den Mund, um ihr Lächeln zu verbergen. Ihre Augen weiteten sich. »Ach Gott, glauben Sie wirklich, daß das einen Unterschied macht, wenn wir von jetzt anpersonae non gratae sind? Wie lächerlich! Das hat doch nichts mit uns zu tun!«
»Und ob«, widersprach Rolf. »Es ist unsere königliche Familie, und wir alle waren hier, als es geschah.«
»Kein Mensch glaubt dieser Hexe!« bellte Klaus. »Wie immer ging es ihr nur darum, Aufmerksamkeit zu erregen, koste es, was es wolle, und vielleicht auch um Rache, weil Friedrich sie vor zwölf Jahren hat fallenlassen. Diese Frau ist verrückt…, das war sie schon immer.«
Monk begriff, daß es um Zorah und die Auswirkungen ihrer Beschuldigungen auf das Gesellschaftsleben ging. Diesen Aspekt hatte er noch nie bedacht. Aber auch wenn ihn dieses Geschwätz anwiderte, durfte er die Gelegenheit nicht auslassen, mehr in Erfahrung zu bringen. Er beschloß, den Unschuldigen zu spielen. »Aber nach dem Prozeß wird das doch alles sicher bald in Vergessenheit geraten?«
»Das wird von den weiteren Äußerungen dieser elenden Frau abhängen«, erklärte Klaus mit säuerlicher Miene. »Es gibt immer Dummköpfe, die jeden noch so albernen Klatsch nachplappern.«
Monk verstand nicht so recht, warum sich Klaus um das Gerede von Leuten kümmerte, die er verachtete, aber fürs erste schien dieses Thema erschöpft. »Was könnte sie denn schon sagen, das vernünftige Leute ernst nehmen müßten?« fragte er in einem Ton der Anteilnahme.
Evelyn starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Sie müssen doch den Klatsch gehört haben! Es gibt ja kein anderes Thema mehr. Sie hat doch tatsächlich Gisela beschuldigt, den armen Friedrich ermordet zu haben!… Noch dazu kaltblütig! Als ob das denkbar wäre! Sie haben einander vergöttert! Und die ganze Welt weiß das!«
Rolf schnitt eine Grimasse. »Es hätte eher Sinn ergeben, wenn jemand anderes sie getötet hätte. Das wäre nachvollziehbar.«
Nun brauchte Monk kein Interesse vorzutäuschen. »Warum?« Alle am Tisch wandten sich zu ihm um. Jäh begriff er, daß er in seiner Naivität zu schnell gefragt hatte. Ein unverzeihlicher Fehler! Aber jetzt war es zu spät. Er mußte die Frage so stehenlassen, wollte er es nicht noch schlimmer machen.
Nicht Rolf, sondern Evelyn gab ihm Antwort. »Nun, sie ist sehr geistreich und schlagfertig. Die anderen stehen immer ein bißchen in ihrem Schatten. Es ließe sich schon denken, daß jemand, auf dessen Kosten sie sich lustig gemacht hat, wütend auf sie ist, sich erniedrigt fühlt und darum…« Sie zuckte ihre reizenden Schultern und ließ das Ende offen. Da sie lächelte, empfand niemand ihre Worte als boshaft.
Diesen Aspekt hatte Monk noch nie gesehen. Gisela konnte also auch grausam in ihrem Witz sein. Aber warum wunderte ihn das? Diese Leute hatten wenig zu befürchten, brauchten anders als seine Bekannten
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