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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ich sicher sagen: Gleichgültig reagiert niemand.«
    »Und Evelyn und Zorah? Wie kamen sie damit zurecht, daß sie nur Nebenrollen spielten?«
    Stephans Miene war schwer zu interpretieren. »Evelyn versteht es hervorragend, unschuldige Mädchen und auch Knaben darzustellen. Letztere Rolle spielte sie auch an diesem Abend. Sie war wirklich bezaubernd. Sie wirkte zugleich jungenhaft und aufregend feminin.«
    Monk sah sie förmlich vor sich. Mit ihrem verschmitzten Gesicht, ihrer jugendlichen Frische, den großen Augen und ihren sanften Zügen mußte Evelyn in der Tat einen höchst betörenden Jugendlichen abgeben. Bestimmt betonte auch ein Männerkostüm ihren schlanken und unverkennbar fraulichen Körper. »Und Zorah?« fragte er. »Ich kann sie mir nicht in einer solchen Rolle vorstellen.«
    Stephan zögerte. Erst nachdem sie mehrere Schritte weitergegangen waren, setzte er zu einer Antwort an. »Nein. Sie spielte eine treue Freundin, die die Botschaften übermittelte, die die Handlung weitertrugen.«
    Monk wartete, doch Stephan schwieg.
    »Wer war der Held?« fragte er schließlich.
    »Florent natürlich.«
    »Und der Schurke?«
    »Ach, das war ich.« Stephan lachte. »Hat mir sogar Spaß gemacht. Die kleinen Rollen wurden von Leuten gespielt, die Sie nicht kennen. Außer Brigitte. Sie spielte irgendeine Mutter, glaube ich.«
    Monk zuckte zusammen. Vielleicht hatte Stephan es nicht so gemeint, aber ihm kam diese Bemerkung grausam vor.
    »War das Stück ein Erfolg?«
    »Ein großer sogar. Gisela war sehr gut. Sie erfand mitten im Stück etwas dazu. Die anderen hatten natürlich Schwierigkeiten, sich darauf einzustellen, aber weil ihre Ideen wirklich witzig waren, störte sich niemand daran. Das Publikum klatschte frenetisch Beifall. Florent war übrigens auch phantastisch. Er schien instinktiv zu wissen, was er bei ihren Improvisationen sagen mußte, und wirkte dabei auch noch ganz natürlich.«
    »Und Zorah?«
    Schlagartig umwölkte sich Stephans Gesicht. »Ich fürchte, ihr gefiel es nicht so sehr. Giselas witzigste Bemerkungen waren alle auf sie gemünzt, aber weil der Prince of Wales und Friedrich, der neben ihm saß, begeistert waren, konnte sie nichts sagen, ohne ihren eigenen Ruf zu schädigen. Sie hatten alle nur Augen für Gisela, und Zorah war klug genug, ihre Gefühle nicht zu zeigen.«
    »Aber sie war wütend.«
    »Ja. Aber ihr bot sich am Tag drauf die Gelegenheit zur Rache.« Sie erklommen ein Dutzend flacher Steinstufen und gingen immer noch im Schatten der Ulmen auf einem grasüberwachsenen Weg weiter. »Sie ritten aus«, fuhr Stephan fort. »Gisela folgte in einer Gig nach. Sie kann nicht gut reiten und hat auch nie Lust darauf. Zorah dagegen ist eine wunderbare Reiterin. Sie forderte Florent zu einem halsbrecherischen Rennen über unwegsames Gelände heraus. Gisela blieb in ihrer Gig zurück und mußte allein zurückfahren. Florent und Zorah kehrten eine Stunde später lachend und erhitzt zurück. Und er hatte den Arm um sie gelegt. Jeder konnte sehen, daß sie sich herrlich vergnügt hatten.« Er brach in Lachen aus, und seine Augen leuchteten. »Gisela schäumte.«
    Monk sah ihn verwundert an. »Ich dachte, sie vergötterte Friedrich? Was kümmerte es sie dann, wenn Zorah mit Florent ausritt?«
    Damit erheiterte er Stephan nur noch mehr. »Seien Sie nicht so naiv! Natürlich vergötterte sie Friedrich, aber sie genießt es, Bewunderer zu haben. Es gehört zu ihrer Rolle als große Liebende, daß alle Männer sie verehren. Sie ist die Frau, die für den Thron wie geschaffen ist – immer aufregend, immer begehrenswert, immer restlos glücklich. Sie muß im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen, aufreizender und geistreicher als alle anderen sein. Sie war an diesem Abend besonders witzig, aber Zorah zeigte sich ihr ebenbürtig. Es war eine königliche Schlacht am Eßtisch.«
    »Unerfreulich?« Monk versuchte, sich die Szene auszumalen, die Gefühle der Beteiligten zu erfassen. Sollte Zorah von solchem Haß zerfressen sein, daß sie deswegen ihre Beschuldigung ersonnen oder die Augen vor der Wahrheit verschlossen hatte? Stand hinter all dem nur verletzte Eitelkeit, ein Krieg um Ruhm und Liebe?
    Stephan blieb stehen und musterte Monk nachdenklich. Erst nach einer ganzen Weile sagte er mit einem bedächtigen Nicken:
    »Ja. In gewisser Hinsicht waren diese Abende wohl schon immer auch unangenehm. Nun, vielleicht verstehe ich die Leute in diesem Kreis nicht so gut, wie ich sie damals zu verstehen glaubte.

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