Die russische Gräfin
dahin. Als sie aufgegessen hatten, bot Stephan Monk an, ihm die nähere Umgebung zu zeigen. Monk nahm ohne zu zögern an.
»Was wollen Sie jetzt unternehmen, um Zorah zu helfen?« erkundigte sich Stephan, während sie durch die Orangerie spazierten. »Keiner reiste nach Friedrichs Sturz ab, nur bekamen wir ihn kaum zu Gesicht. Er lag in seinem Zimmer, und Gisela ließ niemanden zu ihm. Die einzige Ausnahme war Rolf, aber auch er sah ihn meines Wissens nur zweimal. Die anderen hätten höchstens in die Küche gehen oder die Bediensteten abfangen können, wenn sie mit einem Tablett beladen rauskamen.«
»Glauben Sie deswegen, daß es Gisela war?«
Monks Frage schien Stephan zu verblüffen. »Natürlich nicht! Wie soll man das auch beweisen? Damit hätte sogar der Teufel Schwierigkeiten! Ich glaube, daß es Gisela war, weil Zorah es sagt. Und sie hat völlig richtig erkannt, daß Friedrich als König hätte zurückkehren können und Gisela genau wußte, daß sie dabei auf der Strecke bleiben würde.«
»Nicht gerade überzeugend«, brummte Monk.
Sie hatten die Orangerie verlassen und schlenderten zwischen eleganten Hornbaumhecken weiter. Das Ende dieses Weges markierte ein gewaltiger Steintrog voll roter Geranien, und dahinter lag eine dunkle Eibenhecke.
Stephan mußte unvermittelt lächeln. »Ich weiß«, sagte er , »aber wenn Sie diese Leute kennen würden, dann würden Sie mich verstehen. Hätten Sie nur Gisela gesehen…«
»Erzählen Sie mir doch von dem Tag vor dem Unfall«, fiel ihm Monk ins Wort, »oder, wenn Ihnen das lieber ist, von dem Tag, den Sie am lebhaftesten in Erinnerung haben.«
Darüber mußte Stephan minutenlang nachdenken. Sie waren langsam weitergegangen und betraten gerade eine Ulmenallee von einer guten halben Meile Länge, als er schließlich, die Stirn voll Konzentration in Falten, begann. »Beim Frühstück war es immer das gleiche. Gisela kam nie herunter, sondern aß in ihrem Zimmer, meistens zusammen mit Friedrich. Das war bei ihnen ein Ritual. Ich glaube, er sah ihr gerne zu, wenn sie sich anzog. Egal zu welcher Jahreszeit, sie sieht immer blendend aus. Sie hat eben Geschmack.«
Daruf ging Monk nicht weiter ein. »Was machten die anderen nach dem Frühstück?« wollte er wissen.
Stephan lächelte. »Ich glaube, Florent flirtete mit Zorah in der Orangerie. Brigitte ging allein spazieren. Wellborough und Rolf sprachen in der Bibliothek über Geschäftliches. Lady Wellborough hatte im Haus zu tun. Was mich betrifft, so spielte ich den ganzen Vormittag mit Friedrich und Klaus Golf. Gisela und Evelyn hielten sich in etwa an der Stelle auf, wo wir jetzt sind. Sie müssen sich gestritten haben, denn sie kamen jede für sich und ziemlich erregt zurück.«
Im Schatten der Ulmen entfernten sie sich immer weiter vom Haus. Ein Gärtner mit Schubkarren überholte sie. Er zog ehrerbietig seine Mütze und murmelte einen Gruß. Stephan bedankte sich mit einem Nicken. Monk empfand es als unhöflich, daß er nicht stehenblieb und ein paar Worte mit diesem Mann wechselte, doch da eine solche Geste hier nicht erwartet wurde, wollte er nicht auffallen.
»Und am Nachmittag?« fragte er.
»Ach, es gab ziemlich früh Mittagessen. Danach zog sich jeder zurück, um etwas für den Abend vorzubereiten. Es war nämlich eine Party mit einer Theatervorführung geplant. Da wollte noch jeder üben. Der Prince of Wales wurde zusammen mit mehreren Freunden erwartet. Es war also ziemlich aufregend. Gisela ist eine phantastische Schauspielerin und sollte die Hauptrolle spielen.«
»War das ungewöhnlich?«
»Überhaupt nicht. Sie stand meistens im Mittelpunkt. Sie ist nicht nur sehr talentiert und spielt gerne, sondern hat auch die Gabe, die anderen mitzureißen. Sie kann sehr impulsiv sein, hat spontane, wirklich originelle Einfalle und probiert sie ganz einfach aus! Und sie klappen, ohne daß sie lange herumredet oder sie ewig einübt, was ja den Spaß verderben würde. Ich kenne sonst niemanden, der so spontan, so lebhaft ist. Darum hat sich Friedrich wohl auch so in sie verhebt. Bis dahin kannte er ja nur das streng geregelte Leben am Hof, wo alles Wochen im voraus geplant werden muß. Sie fegte wie ein Sommerwind durch ein jahrhundertelang verschlossenes Haus.«
»Mögen Sie sie?«
Stephan lächelte. »Ich würde nicht sagen, daß ich sie mag, aber sie fasziniert mich mit ihrer Ausstrahlung.«
»Und wie wirkt die sich aus?«
Stephan sah ihn mit leuchtenden Augen an. »Ganz verschieden. Aber eins kann
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