Die russische Gräfin
nicht darauf zu achten, was sie mit ihren Worten anrichteten. Ihm schoß die Frage in den Sinn, inwieweit die guten Manieren bei ihm und seinesgleichen mit Selbsterhaltung und der aufrichtigen Besorgnis um andere Menschen zu tun hatten. Nun, bei denen, die über solchen Sorgen standen, glaubte er die Antwort zu wissen.
Er wandte den Blick von Evelyns entzückendem Gesicht und sah nacheinander Lady Wellborough, Rolf und Klaus an. »Wenn es tatsächlich zum Prozeß kommt, wird man doch sicher die Wahrheit mühelos beweisen können, nicht wahr? Jeder, der hier war, wird sie bezeugen. Und wenn Ihre Aussagen übereinstimmen, wird man sie schnell der Lüge oder etwas noch Schlimmeren überführen.«
»Wohl kaum ›jeder‹«, korrigierte ihn Klaus in einem merkwürdig hochnäsigen Ton, ohne jedoch deutlicher zu werden.
Nun wurden die Süßigkeiten gebracht: Eispudding, Erdbeerkonfitüre, Baisers und Nektarinenkonfitüre.
»Das ist ja das Problem«, seufzte Lady Wellborough und nahm ein Baiser. »Der Prince of Wales war unmittelbar vor Friedrichs Tod auch hier. Natürlich müssen wir ihn unbedingt aus dieser Angelegenheit heraushalten.«
Monk hatte auf einmal ein flaues Gefühl im Magen. Ahnte Rathbone überhaupt, in was er da verstrickt war? »Können Sie bei Ihrer Aussage nicht einfach seine Anwesenheit verschweigen, wenn Sie sich darauf einigen?« fragte er.
»Sieht so aus, als müßten wir das«, knurrte Klaus. »Diese verfluchte Schwätzerin.«
»Zuallererst werden wir feststellen müssen, worin Einigkeit besteht«, meinte Stephan mit einem schiefen Lächeln. »Was geschehen ist, wissen wir ja mehr oder weniger. Es kommt eher darauf an, zu klären, was wir nicht wissen, damit wir uns nicht in Widersprüche verheddern.«
»Was zum Teufel soll das heißen?« fauchte Lord Wellborough. »Wir wissen doch, was geschehen ist. Prinz Friedrich ist seinen Verletzungen erlegen.« Er zog das Gesicht angewidert in die Länge, so daß seine Lippen fast völlig verschwanden. Man konnte fast meinen, seine Worte bereiteten ihm Schmerzen.
Monk stellte sich unwillkürlich die etwas boshafte Frage, was den Lord mehr beschäftigte: seine Zuneigung zu Friedrich oder sein beschädigter Ruf als Gastgeber. Ohne die Nektarinenkonfitüre vor sich anzurühren, legte er seinen Löffel beiseite. »Ich könnte mir vorstellen, daß man gezielt nach den Umständen fragen wird – wie der Alltag im Haus geregelt wurde, wer alles Zugang zu Friedrichs Zimmer hatte, wer das Essen zubereitete, wer es ihm brachte, wer zu welcher Uhrzeit kam und ging.«
»Aber wozu?« wollte Evelyn wissen. »Niemand wird glauben, daß wir ihm etwas zuleide getan haben! Warum auch? Was hätten wir davon gehabt? Wir waren doch seine Freunde, und das seit Jahren!«
»Morde innerhalb von Häusern werden in der Regel von Familienmitgliedern oder Freunden verübt«, erwiderte Monk.
Rolf verzog angewidert das Gesicht. »Das mag sein. Gott sei Dank wissen wir über diese Art von Dingen sehr wenig. Ich nehme an, Gisela wird sich den besten Barrister nehmen, wenn nicht einen Kronanwalt. Der wird die nötigen Schritte unternehmen, um den Skandal in erträglichen Grenzen zu halten.« Er bedachte Monk mit einem kühlen Blick. »Hätten Sie die Güte, mir den Käse zu reichen, Sir?«
Vor ihm stand bereits ein Brett mit sieben verschiedenen Käsesorten! Die Botschaft war unmißverständlich. Ohne das Thema noch einmal anzuschneiden, gingen sie zum Eis über, neapolitanische Creme in Himbeerwasser, und beendeten das Dinner mit den Früchten: Ananas, Erdbeeren, Aprikosen, Kirschen und Melonen.
Monk schlief schlecht in dieser Nacht, und das trotz einer anstrengenden Zugreise, den Strapazen bei Tisch und danach im Herrenzimmer und nicht zuletzt trotz eines bequemen Betts mit Daunendecke und -kissen. Als Stephans Diener am Morgen in sein Zimmer kam und ihm mitteilte, daß man ein Bad für ihn bereitet und seine Kleider zurechtgelegt hatte, wachte er benommen und alles andere als erholt auf.
Das Frühstück war opulent, aber zwanglos. Die Leute kamen und gingen, wie es ihnen gefiel, und nahmen sich vom kalten Büffet, wonach ihnen gerade der Sinn stand: Eier, Fleisch, Gemüse, Gebäck und verschiedene Brotsorten. Auf dem Tisch warteten dampfender Tee – leere Kannen wurden regelmäßig durch volle ersetzt –, Butter, Eingelegtes, frisches Obst und sogar Leckereien.
Bei Monks Eintreffen saßen lediglich Stephan, Florent und Lord Wellborough am Tisch. Das Gespräch plätscherte
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