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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Ritterschlag war er zu selbstzufrieden geworden. Andererseits wollte sie nicht, daß er ausgerechnet jetzt wegen dieses absurden Falles gedemütigt wurde und überall in Ungnade fiel: unter seinen Kollegen, in der Gesellschaft und unter den gemeinen Leuten, die sich mit Gisela identifizierten und auf ihrer Seite standen. Niemand will sich seine Träume zerstören lassen.
    »Warum sollte die Gräfin nur so etwas tun?« sinnierte Hester laut, wohl wissen, daß Bernd sie womöglich für unverschämt halten würde. »Wurde sie am Ende von jemandem vorgeschoben?«
    Ein Windhauch raschelte durch die Bäume und wehte trockene Blätter durch die Luft.
    Bernd drehte sich zu Hester um. Quer über seine Stirn hatte sich eine tiefe Furche gegraben. »Daran habe ich noch nicht gedacht. Zorah ist eine eigensinnige Frau, aber so selbstzerstörerisch habe ich sie noch nie erlebt. Mir fällt kein vernünftiger Grund ein, warum sie eine solche Anklage erheben könnte. Sie konnte Gisela nie leiden, aber damit ist sie nicht die einzige. Gisela läßt niemanden kalt. Sie schafft sich entweder Freunde oder Feinde.«
    »Könnte Zorah im Auftrag eines ihrer Feinde handeln?«
    »Um gesellschaftlichen Selbstmord zu begehen?« Er schüttelte den Kopf. »Ich würde so etwas für keinen Menschen tun. Sie etwa?«
    »Das hängt davon ab, für wen und aus welchem Grund ich gebraucht werde«, antwortete sie und hoffte, er würde ihr mehr über Zorah verraten. »Glauben Sie, daß sie selbst von ihren Vorwürfen überzeugt ist?«
    Darüber dachte er einen Moment lang nach. »Es fiele mir schwer«, sagte er schließlich. »Gisela hatte mit Friedrichs Tod nichts zu gewinnen und alles zu verlieren. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Zorah das entgangen sein sollte.«
    »Kennen sie sich gut?« Hesters Neugierde war geweckt. Wie mochte die Beziehung zwischen diesen so grundverschiedenen Frauen aussehen?
    »So wie sich wohl alle Frauen kennen, die jahrelang in ähnlichen Verhältnissen leben und sich in denselben Kreisen bewegen. Vom Charakter her könnten sie nicht verschiedener sein, aber in ihrem Leben gibt es doch einige Parallelen. Zorah hätte leicht Giselas Stelle einnehmen können, hätte Friedrich eine Schwäche für unmögliche Frauen vom Schlag einer Zorah und nicht einer Gisela gehabt.«
    Er verzog auf einmal angewidert das Gesicht. Und mit einem Schlag erkannte Hester, wie sehr er Gisela verübelte, daß sie das Königshaus durcheinandergebracht und den Prinzen für sich in Anspruch genommen hatte, bis er am Ende sein Volk und seine Pflichten vergaß.
    »Wegen eines anderen Mannes haben sie sich doch nicht gestritten, oder?« fragte Hester, die immer noch nach einem Grund suchte.
    Bernd starrte sie überrascht an. »Gisela? Wohl kaum. Sie flirtet ständig, aber das tut sie mehr zur Bestätigung ihrer Macht. Sie hat nie jemanden wirklich ermutigt. Ich würde schwören, daß sie an so etwas kein Interesse hatte.«
    »Aber vielleicht wollte Zorah ihn Gisela abspenstig machen? Gisela muß ein bezauberndes Wesen, eine magnetische Anziehungskraft gehabt haben…«, Hester merkte, daß sie von Gisela in der Vergangenheit sprach, als wäre sie bereits tot, »… ich meine, ich stelle sie mir bezaubernd vor.«
    Bernds Lippen strafften sich. Er wandte sich ab, so daß ihm die Herbstsonne voll ins Gesicht schien. »O ja. Niemand vergißt Gisela so schnell.« Seine Miene wurde wieder weicher, der verächtliche Ausdruck löste sich auf. »Aber auch Zorah vergißt man nicht so leicht. Nun, ich glaube, die Politik wird sich des Falles annehmen. Wir stehen vor den dramatischsten Veränderungen in unserer Geschichte. Unter Umständen sind wir bald kein eigenständiges Land mehr, wenn wir von Großdeutschland geschluckt werden. Wenn wir aber auf unserer Unabhängigkeit bestehen, drohen uns ein verheerender Krieg und womöglich die Tilgung von der Landkarte.«
    »Das würde doch für politische Motive sprechen.« Hester wurde sich ihrer Sache immer sicherer. »Falls er getötet wurde, dann doch wohl, um zu verhindern, daß er zurückkehrte und den Kampf um die Unabhängigkeit anführte.«
    »Ja…«, räumte Bernd zögernd ein. »Vorausgesetzt, er wollte tatsächlich heimkehren, was wir allerdings nicht wissen. Aber es kann sein, daß Rolf damals nur deswegen nach England kam, um ihn dazu zu überreden. Vielleicht war er dem Erfolg näher, als wir dachten.«
    »Dann hätte Gisela ihn also doch töten können, bevor er sie allein zurückließ!« rief Hester in

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