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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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noch recht jung und verbreitete nicht die Aura der Allwissenheit vieler Kollegen, die normalerweise Distanz zu den Patienten schafft. Das bestimmte Auftreten, das die einen als tröstlich, die anderen als herablassend empfinden, gab es bei ihm nicht. Während der Untersuchung stellte er Robert viele Fragen, wobei er sich stets an ihn direkt wandte und nie falschen Optimismus verbreitete.
    Robert gab zwar nur einsilbige Antworten, doch Hester war sich sicher, daß ihm nur noch das Quentchen Mut zu der Frage fehlte, ob er je wieder würde laufen können.
    »Sie machen durchaus zufriedenstellende Fortschritte«, meinte der Arzt am Ende und klappte seinen Koffer zu. Wie die ganze Zeit zuvor, wandte er sich an Robert, nicht an Dagmar oder Hester. »Das viele Liegen hat Ihren Kreislauf offenbar nicht beeinträchtigt.«
    Dagmar öffnete den Mund, überlegte es sich dann aber wieder anders.
    »Ich werde mich noch mit Schwester Latterly über die weitere Pflege unterhalten«, fuhr der Arzt fort. »Wir müssen verhindern, daß Sie sich die Haut wundliegen.«
    Robert atmete tief ein und ließ alle Luft mit einem Seufzer entweichen.
    »Ich weiß es nicht«, sagte der Doktor unvermittelt und beantwortete so die Frage, die Robert nicht gestellt hatte. »Das ist die Wahrheit, Mr. Ollenheim. Das soll nicht heißen, daß ich sie Ihnen notwendigerweise sagen würde, wenn ich sie wüßte, aber ich würde Sie nie anlügen. Es ist nicht auszuschließen, daß Ihre Nerven so gravierend geschädigt wurden, daß es noch lange dauern wird, bis Sie Ihre Beine wieder benutzen können. Ich weiß es wirklich nicht.«
    »Danke«, sagte Robert mit unsicherer Stimme. »Ich war mir nicht sicher, ob ich Sie gefragt hätte.«
    Der Arzt lächelte.
    Aber bei der Besprechung mit Hester, Dagmar und Bernd im Raucherzimmer wurde er schlagartig sehr ernst.
    »Nun?« fragte Bernd. Seine Augen waren verhüllt. Er hatte Angst.
    »Es sieht nicht gut aus«, antwortete der Arzt und stellte seine Tasche auf einen der Sessel. »Ab dem Lendenwirbel ist alles völlig taub.«
    »Aber das wird doch wieder besser!« rief Bernd in flehendem Ton. »Sie haben uns gesagt, daß es Wochen oder sogar Monate dauern kann, daß wir geduldig sein müssen.«
    »Ich habe gesagt, daß es vielleicht wieder besser wird«, korrigierte ihn der Arzt. »Es tut mir leid, Baron Ollenheim, aber Sie müssen sich darauf gefaßt machen, daß es so bleiben könnte. Es wäre unfair Ihrem Sohn gegenüber, ihm die Wahrheit zu verschweigen. Natürlich besteht immer noch Hoffnung, aber keineswegs Gewißheit. Sie müssen auch die andere Möglichkeit ins Auge fassen und sich darauf vorbereiten.«
    »Worauf vorbereiten?« Bernd starrte ihn entsetzt an. »Wie sollen wir uns darauf vorbereiten?« Er fuchtelte wütend mit den Armen. Seine Stimme wurde lauter. »Und was sollen wir tun? Einen Rollstuhl kaufen? Ihm sagen, daß er vielleicht nie wieder stehen, geschweige denn laufen wird? Daß… daß…« Er wußte nicht mehr weiter.
    »Seien Sie mutig«, sagte der Arzt gequält. »Aber tun Sie vor Robert nicht so, als ob Sie nicht mit dem Schlimmsten rechnen würden. Damit täten Sie ihm keinen Gefallen, wenn er sich später tatsächlich damit auseinandersetzen muß.«
    »Können wir denn gar nichts tun? Ich scheue keine Unkosten … Ich…«
    Der Arzt schüttelte betrübt den Kopf. »Wenn es etwas gäbe, hätte ich es Ihnen gesagt.«
    Mit leiser Stimme schaltete sich Dagmar ein. »Was können wir sagen oder tun, um es ihm leichter zu machen, wenn… wenn es wirklich soweit kommt? Ich weiß es einfach nicht, was besser für ihn wäre: darüber sprechen oder nicht.«
    »Ich weiß es selbst nicht«, gab der Arzt zu. »Ich habe es noch nie gewußt. Es gibt keine fertigen Antworten. Versuchen Sie, sich Ihren Kummer nicht allzusehr anmerken zu lassen. Aber verleugnen Sie ihn auch nicht, wenn er sich damit abzufinden beginnt. Er wird genug mit sich zu kämpfen haben; da muß er sich nicht auch noch mit Ihren Problemen belasten.«
    Dagmar nickte. Bernd stand stumm neben ihr. Sein Blick ging vorbei am Arzt auf ein prächtiges Gemälde. Es zeigte eine Gruppe von muskulösen Reitern, die in perfekter Eleganz über die Landschaft preschten.
    Hester unternahm früh am nächsten Morgen einen kurzen Spaziergang im Garten, als sie Bernd allein vor einem Beet mit verblühenden Blumen antraf. Der September näherte sich seinem Ende, und die Astern im Beet gegenüber – lila, rosa und rot standen in voller Pracht. Die

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