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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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verwelkten Lupinen und Delphinien hatte der Gärtner bereits zurückgeschnitten. Die übrigen Sommerblumen waren schon längst entfernt worden. Es roch nach feuchter Erde. Die warme Jahreszeit ging zu Ende.
    Eigentlich hatte Hester nur Ringelblumen pflücken wollen. Daraus ließ sich eine höchst wirksame Lotion gegen wunde Haut gewinnen. Als sie nun Bernd sah, wollte sie gleich wieder umkehren, um ihn nicht zu stören, doch er hatte sie schon bemerkt.
    »Miss Latterly?«
    »Guten Morgen, Herr Baron.« Sie lächelte unsicher.
    »Wie geht es Robert?« fragte er besorgt.
    »Besser«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Ich glaube, er war so müde, daß er die ganze Nacht durchgeschlafen hat. Er will unbedingt, daß Miss Stanhope ihn wieder besucht.«
    »War er denn so unhöflich zu ihr?«
    »Nun ja, er hat sie verletzt.«
    »Hoffentlich war er… nicht gemein zu ihr. Der eigene Schmerz ist keine Entschuldigung für die Verletzungen, die man anderen zufügt, vor allem dann, wenn sie sich nicht wehren können.«
    In diesem einen Satz hatte er ausgedrückt, was seinen Status umfaßte, nicht nur die Überzeugung der eigenen angeborenen Überlegenheit, sondern auch die damit verbundene Verpflichtung zu eiserner Disziplin und die tiefe Ehrauffassung. Sie betrachtete sein Profil mit seinen wohlgeformten, kräftigen Knochen. Der Mund war halb verdeckt von seinem dunklen Schnurrbart, seine Züge waren markanter als die des Jüngeren, aber die Ähnlichkeiten waren nicht zu übersehen.
    »Er hat sie nicht beleidigt«, versicherte ihm Hester nicht ganz wahrheitsgemäß. »Und Miss Stanhope verstand den Grund für sein schroffes Verhalten. Sie weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, zu leiden.«
    »Ja, man sieht, daß sie…« – er zögerte, suchte nach einer taktvollen Formulierung – »… gewissermaßen behindert ist. Wissen Sie, ob es an einem Unfall oder einer Krankheit lag? Natürlich hatte sie mehr Glück als Robert. Sie kann immerhin laufen, wenn auch vielleicht etwas unbeholfen.«
    Sie studierte seine Miene. Wie sicher er sich war! Die Denkweise eines Mannes, der sich seine Urteile über andere bildete, ohne deren Welt an sich heranzulassen. Von Victorias Tragödie oder der ihrer Familie konnte sie ihm unmöglich erzählen. Falls er sie mißverstand, wäre der Schaden nicht wiedergutzumachen. Victorias Intimsphäre wäre zerstört und mit ihr die Ansätze von Vertrauen, das sie unter so vielen Mühen entwickelt hatte.
    »Ein Unfall«, sagte sie. »Und dann eine stümperhaft ausgeführte Operation. Seitdem lebt sie mit ständigen Schmerzen, die mal mehr, mal weniger schlimm sind.«
    »Das tut mir leid«, sagte er ernst. »Armes Kind.« Und damit war das Thema für ihn erledigt. Er hatte den Regeln der Höflichkeit Rechnung getragen. Daß Victoria irgendwann ein Teil von Roberts Leben werden könnte, kam ihm nicht in den Sinn. Sie war nichts als eine bedauernswerte Person, die einmal in einer Zeit der Not freundlich gewesen und danach wieder verschwunden war. Gelegentlich würde man sich mit einer gewissen Achtung an sie erinnern, aber das wäre alles.
    Bernd schaute über die welkenden Blumen vor ihm zu den prächtigen Astern und den goldgelb in die Höhe schießenden Ringelblumen hinüber, die einen so grellen Kontrast zur nassen Erde und dem dunklen Laub boten.
    »Etwas anderes, Miss Latterly: Sollten Ihnen zufällig Einzelheiten über diesen unseligen Streit zwischen Gräfin Rostova und Prinzessin Gisela zu Ohren kommen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie nichts davon Robert gegenüber erwähnen würden. Ich fürchte, die Angelegenheit wird noch zu einem Skandal ausarten, wenn sich der Prozeß nicht doch verhindern läßt. Ich möchte nicht, daß mein Sohn unnötig belastet wird. Meine Frau hat etwas romantische Vorstellungen. Damit kommt er wohl eher zurecht.«
    »Ich weiß sehr wenig über diesen Fall«, gestand Hester. »Mir ist es ein Rätsel, warum Gräfin Rostova eine solche Beschuldigung vorgebracht hat. Ich weiß nicht mal, ob private Gefühle oder Politik dahinterstecken. Sie kommt mir nur sehr verwegen vor, da sie offensichtlich keine Beweise hat.«
    Bernd stopfte die Hände in die Taschen und wippte auf den Füßen vor und zurück.
    Hester faszinierte die Leidenschaft, die die Gräfin so weit getrieben hatte, aber noch näher war ihr Rathbone. Sie sorgte sich um ihn. Es wäre kein Beinbruch, wenn er auch mal einen Fall verlöre. Ja, insgeheim dachte sie, das könnte ihm sogar guttun, denn seit dem

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