Die russische Gräfin
einem triumphierenden Ton, der sich dem Baron gegenüber eigentlich nicht ziemte. »Laufen nicht Zorahs Behauptungen darauf hinaus?«
»Ja, aber es fällt schwer, das zu glauben.« Er musterte Hester mit einem ernsten Blick, den sie nicht zu ergründen vermochte.
»Sie kannten Friedrich nicht, Miss Latterly. Mir ist unvorstellbar, daß dieser Mann Gisela hätte sitzenlassen. So wie ich das sehe, wäre er nur unter der Bedingung zurückgekehrt, daß sie hätte mitkommen dürfen. Ansonsten hätte er rundweg abgelehnt.«
»Dann hätte ihn auch einer von Giselas Feinden töten können«, spekulierte sie, »ein leidenschaftlicher Befürworter der Vereinigung, der es als seine patriotische Pflicht ansah, Friedrich daran zu hindern, einen Unabhängigkeitskrieg anzuzetteln. Oder war es am Ende jemand, der sich heimlich mit einem der Fürstentümer verbündet hat, die die Vormacht über das neue Deutschland gewinnen wollen?«
Bernd sah sie an, als hätte er sie zuvor nie wahrgenommen.
»Sie scheinen brennend an Politik interessiert zu sein, Miss Latterly.«
»An den Menschen, Herr Baron. Und ich weiß, wovon ich rede, wenn ich keinem Land einen Krieg wünsche.«
»Glauben Sie nicht, daß es Dinge gibt, die es wert sind, dafür zu kämpfen oder notfalls sogar zu sterben?«
»Doch. Die Frage ist nur, ob man das Leben eines anderen Menschen opfert, oder ob man bereit ist, das eigene dafür herzugeben.«
Bernd musterte sie nachdenklich, sagte aber nichts mehr. So pflückte Hester ihre Ringelblumen und ließ sich von ihm zurück ins Haus begleiten.
Victoria akzeptierte Roberts Entschuldigung und besuchte ihn zwei Tage später. Hester nahm an, daß sie sehr unsicher auftreten würde. Wahrscheinlich befürchtete sie, Robert würde sie erneut angreifen, sei es aus Angst vor dem Ungewissen, sei es aus Wut, die freilich auch nur ein Ausdruck seiner Angst war und sich gegen Victoria richtete, weil sie in seinen Augen weniger verletzlich als seine Eltern war.
Hester war im Zimmer nebenan, als sie durch die angelehnte Tür mitbekam, wie das Dienstmädchen Victoria zu Robert führte und sich dann zurückzog.
»Danke, daß Sie gekommen sind«, sagte Robert etwas kleinlaut.
»Ich wollte es ja selbst«, entgegnete Victoria und fügte schüchtern hinzu: »Ich teile so gerne Dinge mit Ihnen.«
Hester konnte Roberts Gesicht sehen. Er lächelte.
»Was haben Sie mitgebracht?« fragte er. »Sir Galahad? Setzen Sie sich bitte. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht gleich den Stuhl angeboten habe. Sie sehen so durchfroren aus. Ist es kalt draußen? Soll ich nach Tee schicken?«
»Danke. Ja, es ist kalt, und nein, ich hätte den Tee lieber später.« Sie setzte sich vorsichtig, was ihr wegen der Röcke einige Konzentration abverlangte. »Galahad habe ich nicht mitgebracht. Den wollte ich für später aufheben. Dafür habe ich zwei andere Bücher dabei. Wie wär’s mit etwas Lustigem?«
»Edward Lear?«
»Mir ist etwas Älteres eingefallen. Hätten Sie Lust auf Aristophanes?«
»Ich weiß nicht«, sagte er mit einem gezwungenen Lächeln.
»Klingt nach schwerer Kost. Sind Sie sicher, daß er lustig ist? Bringt er Sie zum Lachen?«
»O ja!« versicherte sie ihm. »Er zeigt die Lächerlichkeit der Leute, die sich selbst allzu ernst nehmen. Ich glaube, man verliert sich, wenn man nicht mehr über sich selbst lachen kann.«
»Ach wirklich?« Er war überrascht. »Ich dachte immer, das Lachen sei ein bißchen frivol und habe mehr mit Flucht zu tun als mit dem wirklichen Leben.«
»Oh, ganz und gar nicht!« rief sie in schwärmerischem Ton.
»Manchmal ist das Lachen wahrhafter als alles andere!«
»Halten Sie das Absurde etwa für real?« Nun wirkte er perplex, aber nicht kritisch.
»Nein, so meine ich das auch wieder nicht. Ich spreche nicht vom spöttischen Lachen, das die Menschen herabsetzt, sondern vom komischen Lachen, das uns hilft zu erkennen, daß wir ganz normale Menschen sind wie alle anderen auch. Lustig wird etwas, wenn es überraschend daherkommt, wenn es unverhältnismäßig ist. Wir lachen, wenn etwas nicht das ist, womit wir gerechnet haben, und wir plötzlich das Komische daran sehen. Ist das nicht auch eine Form von gesundem Menschenverstand?«
»So habe ich das noch nie gesehen.« Er sah sie mit leuchtenden Augen an. »Stimmt, das ist wohl die schönste Art des Lachens. Wie haben Sie das entdeckt? Oder hat jemand es Ihnen gesagt?«
»Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich hatte ja Zeit zu lesen und zu
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