Die russische Gräfin
Geschichte von der Oper seine Vision verdorben. Im Grunde war es nur ein Stilbruch, wenn Gisela darauf bestanden hatte, an einer Veranstaltung teilzunehmen, was allerdings in Friedrichs Augen eine schäbige Geste ihrem Gastland gegenüber darstellte. Eines vergnüglichen Abends wegen hatte sie sich ihm widersetzt. Aber statt auch einmal ihren Unwillen zu ertragen, hatte Friedrich am Ende klein beigegeben. Das konnte Monk auch nicht bewundern.
Evelyn reichte ihm lächelnd die Hand.
Er ergriff sie sofort. Sie war warm und zart, fast so wie bei einem Kind.
»Kommen Sie«, drängte sie. »Darf ich Sie William nennen? Ein wirklich passender englischer Name. Ich liebe ihn. Er paßt perfekt zu Ihnen. Sie sehen so dunkel und schwermütig aus und geben sich auch so ernst. Sie sind absolut entzückend!« Er merkte, daß er rot anlief, aber vor Freude. »Ich werde es mir zur Aufgabe setzen, Ihnen beizubringen, loszulassen und Spaß zu haben wie die Venezianer«, zwitscherte sie. »Tanzen Sie? Mir ist egal, ob Sie es können oder nicht. Zur Not lernen Sie es von mir. Aber zuallererst brauchen Sie Wein.« Sie führte ihn die Treppe zum Ballsaal hinunter. »Er wird Ihnen den Magen und das Herz wärmen…, und dann werden Sie London vergessen und nur noch an mich denken.«
Sie hätte sich die Mühe sparen können. Er dachte ohnehin an nichts anderes mehr.
Monk verbrachte einen Großteil dieser Nacht mit ihr wie auch die folgenden und den Nachmittag seines vierten Tages in Venedig. Dabei lernte er viel über das Leben am Exilhof, wenn das überhaupt die zutreffende Bezeichnung war, solange es zu Hause einen rechtmäßigen König und einen neuen Kronprinzen gab.
Auch ansonsten gefiel es Monk in Venedig überaus gut.
Stephan war ein aufmerksamer Gastgeber, der ihm neben den berühmten Sehenswürdigkeiten auch allerlei kleine Gassen und Nebenkanäle zeigte, viel über die Geschichte der Stadt erzählte und ihm ihre Pracht und Kunst nahebrachte.
Wiederholt stellte Monk Fragen über Friedrich, Gisela, die Königin, Prinz Waldo und die Finanz und Vereinigungspolitik des kleinen Landes. Daneben erhielt er ungeahnte Einsichten in die großen europäischen Revolutionen des Jahres 1848. Beseelt von einer in dieser Form noch nie dagewesenen Sehnsucht nach Freiheit, war sie von Spanien bis nach Preußen durch fast jedes Land gefegt. Die Leute hatten in den Straßen Barrikaden errichtet, Schüsse waren gefallen, woraufhin die Soldaten aus Panik zugeschlagen hatten. Allein in Frankreich jedoch schien die Revolution etwas Positives gebracht zu haben; in Österreich, Spanien, Italien, Preußen und den Niederlanden waren die Träume wie eine Seifenblase zerplatzt. Die alten oder noch schlimmere Unterdrücker saßen im Sattel, fester denn je.
An den Nachmittagen besuchte Monk Evelyn. Einmal ließ sie ihn kurzerhand abholen, bevor er selbst zu ihr fahren konnte. Sie wollte ihn also ebenso wie er sie. Darüber freute er sich unbändig. Ihm war, als wären ihm Flügel gewachsen. Sie war wunderschön, aufregend, lustig, und wie keine andere Frau, die er kannte, verstand sie es, den Augenblick zu genießen. Sie war einzigartig und wunderbar. Zusammen mit anderen gingen sie zu Soireen und Partys, ließen sich über den Canale Grande rudern und besuchten Bekannte. Sie lachten viel und badeten im strahlenden Licht dieses blauen und goldenen Herbstes. Auch wenn das Fenice geschlossen war, gab es genug kleine Theater, in denen sie sich Masken, Dramen und Opern ansahen.
Vor zwei oder drei Uhr ging Monk nie ins Bett. Er genoß es, bis zehn am Morgen zu schlafen, sich das Frühstück ans Bett servieren zu lassen, danach den Anzug für den jeweiligen Tag auszuwählen und sich in neue Entdeckungen und Vergnügen zu stürzen. An diese Lebensweise hätte er sich ohne weiteres gewöhnen können. Ihn überraschte nur, wie mühelos man da hineinrutschte.
Nach einer Woche traf er Florent Barberini zum erstenmal wieder. Sie kamen in der Pause eines Theaterstücks, von dem Monk herzlich wenig verstand, weil es auf italienisch war, ins Gespräch.
Monk hatte sich entschuldigt und war auf den Pier getreten, um den über den Kanal gleitenden Booten zuzuschauen und zu versuchen, seine Gedanken zu ordnen, vor allem was seinen Auftrag betraf, den er vernachlässigte, und seine Gefühle für Evelyn.
Er konnte nicht guten Gewissens behaupten, daß er sie liebte. Wieviel wußte er überhaupt über sie? Er vermochte es nicht zu sagen. Aber er liebte die Erregung, in die
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