Die russische Gräfin
alles getan.«
»Das sah ich auch so. Sie ist eine bemerkenswerte Frau.«
»Und der König? Hätte nicht er Gisela in Kauf genommen, wenn Friedrich seine Rückkehr von ihr abhängig gemacht hätte?«
»Er und sich über Ulrike hinwegsetzen?« gluckste Florent. Allein sein Ton beantwortete schon die Frage. »Er ist ein sterbender Mann. Ulrike hat das Sagen im Lande. Das war wahrscheinlich schon immer so.«
»Und sein Bruder Waldo, der neue Kronprinz?« setzte Monk nach. »Ihm kann doch unmöglich an Friedrichs Rückkehr gelegen haben.«
»Das nicht, aber ich bezweifle, daß er Friedrich deswegen ermorden ließ. Er trat nur widerwillig an die Stelle seines Bruders, weil es eben keinen anderen gab. Und sein Zögern war nicht gespielt. Ich kenne ihn nämlich.«
»Aber den Kampf für die Unabhängigkeit wird er nicht anführen.«
»Er glaubt, daß ein Krieg ihnen nichts nützen würde, weil sie so oder so von Deutschland geschluckt werden.«
»Hat er recht?« Monk starrte sein Gegenüber unverwandt an. Auf dem Kanal trieb eine Barkasse vorbei, auf der Musik gespielt wurde. Wimpel flatterten, und die Lichter von Fackeln glitzerten im dunklen Wasser. Die Bugwellen schwappten mit einem sanften Klatschen gegen die Steinstufen zum Pier.
»Ich glaube, ja«, antwortete Florent.
»Aber Sie wollen die Unabhängigkeit für Venedig!« Florent lächelte. »Von Österreich, aber nicht von Italien.« Jemand rief einen Namen. Der Laut hallte über das Wasser wider. Eine Frauenstimme antwortete.
»Waldo ist ein Realist«, fuhr Florent fort. »Friedrich war zeitlebens ein Romantiker. Aber ich denke, das liegt auf der Hand, oder?«
»Sie glauben, ein Unabhängigkeitskrieg wäre zum Scheitern verurteilt?«
»Ich meinte eigentlich Gisela. Ihretwegen warf er seine Pflichten über Bord und folgte dem Rufe seines Herzens. Was für eine Romanze! ›Alles für die Liebe und eine Welt verloren!‹« Seine Stimme troff vor Ironie, doch er wurde sofort wieder ernst. »Ich weiß nicht, ob Liebe zur Welt und die Liebe zu einem Menschen miteinander vereinbar sind.«
»Bei Friedrich, ja«, meinte Monk ruhig. Aber noch während er das sagte, merkte er, daß das wohl eher als Frage gemeint war.
»Wirklich?« entgegnete Florent. »Friedrich ist tot. Vielleicht wurde er ermordet.«
»Wegen seiner Liebe zu Gisela?«
»Ich weiß es nicht.« Florent starrte wieder aufs Wasser hinaus. Da, wo das Licht der Fackel hinfiel, war sein Gesicht weiß, der Teil, der im Schatten lag, wirkte schwarz. »Wenn er daheimgeblieben wäre, statt abzudanken, hätte er fraglos den Kampf für die Unabhängigkeit angeführt. Alle Pläne und Intrigen für seine Rückkehr hätten sich erübrigt. Und die Königin hätte von ihm nicht verlangt, er müsse seine Frau verlassen und eine andere heiraten.«
»Aber Sie haben doch selbst gesagt, daß er das nie getan hätte!«
»Er hätte es auch nicht getan, nicht einmal um sein Land zu retten.«
Florent sprach mit monotoner Stimme, als bemühe er sich um Objektivität. Gleichzeitig hörte Monk aber auch einen vorwurfsvollen Ton heraus, und als er ihm ins Gesicht sah, merkte er, daß Florent wütend war. »Eine solche Haltung wäre eines wahren Romantikers würdig«, meinte er. »Persönlich und politisch.«
»Und sie würde auch zu Einsamkeit führen«, ergänzte Florent. »Aber Friedrich vertrug keine Einsamkeit.«
Darüber dachte Monk mehrere Minuten lang nach. Hinter ihnen war Lachen zu hören. Eine Gruppe war aus dem Theater getreten und rief einer vorbeifahrenden Gondel einen Gruß zu. Vor ihnen plätscherte wieder eine Bugwelle gegen die Steinstufen.
»Und was sind Zorahs Gefühle?« fragte Monk, nachdem die anderen sich entfernt hatten. »Ich meine, in der Frage von Unabhängigkeit oder Vereinigung. Könnte ihre Anklage auch einen politischen Hintergrund haben?«
Florent überlegte lange, und als er seine Antwort gab, hatte seine Stimme einen nachdenklichen Klang. »Wie denn? Was würde das jetzt noch nützen? Es sei denn, Sie glauben, sie wolle andeuten, hinter Gisela stecke noch jemand anders. Das halte ich für unwahrscheinlich. Sie hatte zu Hause nie mit irgendwelchen Parteien Verbindungen.«
Monk schüttelte den Kopf. »Ich dachte eher, falls Zorah wußte, daß Friedrich ermordet wurde – wenn auch nicht notwendigerweise von Gisela –, dann beschuldigte sie Gisela vielleicht nur, weil sie glaubte, so ließe sich das Verbrechen am ehesten ans Tageslicht bringen.«
Florent starrte ihn entgeistert an.
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