Die russische Gräfin
Fenstern! Können Sie sich das vorstellen?«
Monk versuchte, sich dieses Klima von Trauer, Bedrückung und Haß auszumalen. Auf der einen Seite gaben sich die hier im Exil lebenden Gestalten jede Mühe, mit ihren lächerlichen Ritualen wenigstens den Anschein von Pomp aufrechtzuerhalten, auf der anderen Seite segelte ein echter Monarch mit allen Insignien seiner Macht über diese glitzernden Gewässer, und es herrschte Totenstille, weil die Venezianer woanders ihren Geschäften nachgingen, Pläne schmiedeten, kämpften und träumten. Kein Wunder, daß diese Stadt etwas Trostloses an sich hatte.
Aber er war ja gekommen, um mehr über Friedrich, Gisela und Zorahs Gründe für ihre Beschuldigung zu erfahren.
Evelyn und er standen dicht beieinander. Ihr weiches Haar streifte sein Gesicht, ihr Geruch schien den ganzen Raum zu durchdringen. Um ihn herum wirbelten der Lärm und der Glanz, aber er fühlte sich wie auf einer Insel mit ihr allein. Es fiel ihm schwer, sich wieder auf seine Aufgabe zu konzentrieren.
»Sie wollten mir von Friedrich erzählen«, half er nach.
»Ach ja!« Sie sah flüchtig zu ihm auf. »Die Oper. Gisela wollte hingehen. Es hätte eine Sondervorstellung werden sollen. Ursprünglich hätte fast der ganze venezianische Adel kommen sollen, aber dann sagten alle ab. Armer Verdi! Gisela hatte sich trotzdem den Besuch in den Kopf gesetzt, doch Friedrich weigerte sich. Er glaubte, wegen der Besetzung durch Österreich sei er den Boykott irgendeinem venezianischen Prinzen schuldig. Er fühlte sich der Stadt wohl verpflichtet. Immerhin war sie seit so vielen Jahren sein Zuhause.«
»Aber Gisela teilte seine Gefühle nicht?« fragte er.
»Politik bedeutet ihr nichts…«
Oder Loyalität, dachte Monk. Oder Dankbarkeit einem Volk gegenüber, das sie bei sich aufgenommen hat. Mit einemmal trübte ein häßlicher Fleck dieses bis dahin so idyllische Bild.
Vom Ballsaal drang die Musik zu ihnen nach oben. Eine Frau lachte auf. Monk wurde Klaus gewahr. Er war in ein Gespräch mit einem weißbärtigen Mann in Militäruniform vertieft.
»Sie trug ein neues Kleid«, erzählte Evelyn weiter. »Ich erinnere mich daran, weil es ihr so unbeschreiblich gut stand. Es war auberginefarben mit goldenen Borten und raffiniert bestickt. Und der Rock war ein Gedicht! Sie sah noch schlanker darin aus, als sie es ohnehin schon ist. An diesem Tag rauschte sie mit erhobenem Kopf davon. In den Haaren trug sie goldenen Schmuck, und um den Hals hatte sie sich eine Kette mit Amethysten und Perlen gehängt.«
»Und wer begleitete sie, wenn Friedrich nicht mitging?« Monk versuchte, sich die Szene vorzustellen, sah aber immer nur Evelyn.
»Er ging dann doch. Sie hatte sich von Graf Baidassare begleiten lassen, doch kaum hatten sie in ihrer Loge Platz genommen, als Friedrich eintraf. Für alle anderen sah es so aus, als hätte er sich verspätet. Ich selbst hatte die Wahrheit auch nur rein zufällig erfahren. Ich glaube nicht, daß Friedrich überhaupt mitbekam, was gespielt wurde. Er war nicht in der Lage, zu sagen, ob die Sopranistin blond oder schwarzhaarig war. Den ganzen Abend hatte er nur Augen für Gisela.«
»War sie zufrieden, weil sie gewonnen hatte?« Monk überlegte, ob das ein Machtkampf, Eifersucht oder ein banaler Ehekrach gewesen war. Und warum erzählte ihm Evelyn gerade das?
»Sie kam mir nicht so vor. Ich weiß genau, daß sie kein Interesse an Graf Baidassare hatte, und er genausowenig an ihr. Er wollte nur galant sein.«
»Gehörte er dem Teil des venezianischen Adels an, der geblieben war?«
»Nein. Er ist später übrigens auch weggegangen. Der Kampf für die Unabhängigkeit hat viele weitaus mehr gekostet, als ich früher dachte. Graf Baidassares Sohn wurde von den Österreichern getötet; seine Frau ist gelähmt; sie hat auch einen Bruder verloren – er ist im Gefängnis gestorben. Ich weiß nicht, ob der Widerstand das alles wert ist. Die Österreicher sind gar nicht so schlimm, verstehen Sie. Sie sind tüchtig und gehören zu den wenigen Ländern in Europa, deren Regierung nicht korrupt ist. Zumindest sagt Florent das; und er ist zur Hälfte Venezianer. Allein schon deswegen muß es stimmen. Er verabscheut sie.«
Monk gab keine Antwort. Er dachte an Gisela. Sein Bild von ihr war sehr vage. Nun, er hatte ihr Gesicht noch nie gesehen. Es hieß, daß sie nicht wirklich schön sei, aber er stellte sie sich mit großen Augen und voller glühender Leidenschaft vor. Doch jetzt hatte Evelyn ihm mit ihrer
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