Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
wenn sie geglaubt hätte, daß der Krone und der Dynastie damit gedient gewesen wäre.« Er lachte auf.
    »Ich habe sie das ja schon tun sehen!«
    Das Fest war ein strahlendes Echo der glanzvollen Renaissance. Monks Gruppe bestieg in der Abenddämmerung die Gondel. Auf dem Canale Grande waren sämtliche Barkassen und Anlegestege hell mit Fackeln beleuchtet, deren Flammen sich, von den Heckwellen der vorbeigleitenden Boote in Tausende von Funken fragmentiert, im Wasser spiegelten. Eine leichte Nachtbrise strich den Passagieren über die Wangen.
    Der westliche Horizont lag noch aprikosenfarben unter einem zarten Blau. Die mit Schnitzwerk und Säulen verzierten Westfassaden der Paläste leuchteten golden. Durch die Fenster ihres Salons und Ballsäle schien das Licht einer Vielzahl von flackernden Kerzen.
    Die Boote glitten lautlos dahin; die Gondolieri, Silhouetten im Zwielicht, standen schwankend am Ruder, um das Gleichgewicht zu halten. Sie riefen einander ständig etwas zu, bisweilen einen Gruß, meistens ein derbes Schimpfwort. Monk kannte zwar die Sprache nicht, ahnte aber, was der Tonfall bedeutete.
    Sie kamen am Wassereingang an und traten auf den mit Fackeln taghell erleuchteten Pier. Es roch nach Rauch. Als ihnen geheißen wurde, weiter in den Palast gehen, löste sich Monk nur ungern von diesem Panorama. Auf dem Kanal herrschte pulsierendes Leben, das so anders war als alles, was er bisher gesehen hatte. Selbst im Verfall war das von Fremden besetzte Venedig eine Stadt von einzigartiger Pracht. Jeder seiner Steine atmete Geschichte. Es war eine der großen Wegscheiden der Welt. Monk geriet ins Schwärmen. Er stellte sich vor, Helena von Troja müsse im Alter ähnlich schön gewesen sein. Die Röte und die straffe Haut waren vielleicht dahin, aber die Statur, die Augen und das Wissen um die, die sie einmal gewesen war, waren ewig.
    Stephan mußte Monk am Arm ergreifen und geradezu durch den großen Torbogen zerren. Über eine Treppe gelangten sie zum Hauptflur, der sich durch das gesamte Gebäude zog. Er war gefüllt mit lachenden und schwatzenden Leuten. Von zahllosen Lüstern flutete Licht herab, spiegelte sich in Kristallen, brachte Tischdecken und weiße Schultern zum Schimmern und ganze Bergwerke von Edelsteinen zum Funkeln. Die Kleider waren eine einzige Pracht. Jede Frau trug Sachen, die Monk zehn Jahresgehälter gekostet hätten. Seide und Samt waren zu bewundern, dazu Perlen, Spitzen und aufwendige Stickereien.
    Monk fragte sich unwillkürlich, ob er vielleicht eine der legendären Gestalten des Zeitgeschehens treffen würde, die mit ihren Gedanken und Leidenschaften die Welt begeistert hatten. Unbewußt straffte er die Schultern. Er machte hier durchaus eine gute Figur. Schwarz stand ihm. Er war groß und kräftig und zeichnete sich durch einen eigenwilligen Charme aus, um den ihn andere Männer beneideten, denn viele Frauen fanden ihn anziehender, als sie eigentlich wollten. Er wußte nicht, wie er seine Ausstrahlung früher ge oder mißbraucht hatte, aber heute abend fühlte er einen aufregenden Kitzel.
    Natürlich kannte er hier außer Stephan keinen Menschen, bis er auf einmal ein vertrautes Lachen hörte. Er drehte sich um und erkannte Evelyns anmutiges, elfenhaftes Gesicht. Er freute sich unbändig, ja, ihm wurde ganz heiß. Der Rosengarten der Wellboroughs fiel ihm wieder ein und der sanfte Druck ihrer Finger auf seinem Arm. Er mußte sie ansprechen, sich länger mit ihr unterhalten. Es wäre eine ideale Gelegenheit, mehr über Gisela zu erfahren. Er mußte sie herbeiführen.
    Fast zwei Stunden lang manövrierte sich Monk durch höfliche Vorstellungszeremonien und banale Gespräche, versüßt durch die vorzüglichsten Speisen und edelsten Weine, bis er es endlich schaffte, Evelyn im ersten Stock vor einem Balkon mit Blick auf den Kanal allein anzutreffen. Eine ganze Weile achtete er nur auf das Spiel der Lichter auf ihrem Gesicht, das Lachen in ihren Augen und das Lächeln auf ihren Lippen, bis ihm ein Gedanke jäh allen Spaß verdarb: Er könnte gar nicht hier stehen, würde Zorah Rostova es nicht bezahlen. Und Stephan, ihr Freund, der an die Lauterkeit ihrer Absichten glaubte, hatte ihn nicht ohne einen konkreten Zweck mitgebracht und allen möglichen Leuten vorgestellt. Allein wäre er nie hierhergekommen. Wer war er denn schon? Ein privater Ermittler, ein Schnüffler in den Sünden und Problemen fremder Menschen, geboren in einem Fischerdorf in Northumberland, Sohn eines armen Schluckers,

Weitere Kostenlose Bücher