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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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»Das ist denkbar«, sagte er langsam und sehr nachdenklich. »Darauf bin ich noch gar nicht gekommen, aber Zorah wäre so etwas durchaus zuzutrauen, vor allem, wenn sie Klaus verdächtigt.«
    »Würde Klaus Friedrich töten?«
    »Oh, ganz gewiß, wenn er das Gefühl hätte, nur so könne man Friedrich daran hindern, heimzukehren und den Widerstand gegen die Vereinigung anzuführen – der uns nur einen Krieg und früher oder später eine Niederlage eingebracht hätte.«
    »Klaus ist also für Waldo?«
    »Klaus ist für sich selbst«, entgegnete Florent lächelnd. »Er hat riesige Ländereien im Grenzgebiet, die im Falle einer Invasion als erste beschlagnahmt würden.«
    Monk blieb stumm. Das dunkle Wasser des Kanals wogte gegen den Marmor in seinem Rücken, und aus dem Theater drang Gelächter zu ihnen heraus.
    Der Herbst blieb warm und sonnig. Monk bemühte sich um Evelyn, weil es so angenehm mit ihr war. In ihrer Gesellschaft wurde sogar das Banalste zum Abenteuer. Und es schmeichelte ihm, daß sie ihn offenbar auch interessant und ganz anders als ihre sonstigen Bekannten fand. Sie wollte alles über ihn wissen und auch über London und dessen dunkle Seiten, die er so gut kannte. Er erzählte ihr genügend, um ihre Neugierde zu wecken, aber nicht genug, um sie zu langweilen. Das Thema Armut hätte sie abgeschreckt. Er hatte es einmal angeschnitten und sofort gemerkt, daß ihre Augen sich verschleierten. Es hätte Mitgefühl, wenn nicht sogar Schuldbewußtsein erfordert, doch sie war nicht bereit, sich ihr Vergnügen trüben zu lassen.
    Da sie Klaus’ Frau war, hatte er die Gelegenheit, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Er mußte ja so viel wie möglich über Klaus, seine Allianz mit Waldo und seine Beziehungen zu anderen deutschen Staaten herausfinden.
    Er sah sie bei Dinnerpartys, im Theater und einmal bei einem prachtvollen Ball, den im Exil lebende spanische Aristokraten gaben. Dort tanzte er, bis ihm schwindlig wurde, und schlief am nächsten Tag bis Mittag. Danach verbrachte er einen trägen Nachmittag auf stillen Nebenkanälen, wo er bis auf das Klatschen der Wellen gegen die Mauern fast nichts hörte, unter dem Himmel der Gondel das Panorama der Stadt mit ihren herrlichen Türmen und Fassaden vorbeigleiten sah, das ihm vorkam wie ein kunstvoll besticktes blaues Tuch, während er mit Evelyn in den Armen auf dem Rücken lag.
    Er sah den Palast des Dogen und die Seufzerbrücke, die zu den Verliesen führte, aus denen die wenigsten zurückkamen. Er dachte daran, daß er bald wieder ins bereits winterliche London und in die Beengtheit seiner Wohnung zurückkehren würde. Nun gut, als unbequem konnte er sie wirklich nicht bezeichnen; sie war warm, sauber und behaglich eingerichtet; seine Vermieterin war eine vorzügliche Köchin und schien ihn ganz gern zu mögen, auch wenn sie von seinem Beruf wohl nicht allzuviel hielt. Aber an Venedig kam das alles nicht heran. Und Nachforschungen bei Tragödien, die zu Verbrechen geführt hatten, waren etwas ganz anderes als Lachen, Tanzen und bezaubernde Gespräche mit hinreißenden Frauen.
    Später – er ging eine breite Treppe hinauf – durchzuckte ihn wie aus heiterem Himmel eine Erinnerung. Er erlebte es nicht zum erstenmal, daß er sich ohne ersichtlichen Grund mit etwas vertraut fühlte. So auch wieder jetzt. Für einen kurzen Augenblick war er nicht mehr in Venedig, sondern in London. Die lachenden Stimmen gehörten Engländern, und am Pfosten am Fuß der Treppe stand ein guter Bekannter, ein Mann, dem er unendlich viel verdankte. Er empfand Wärme, Geborgenheit und die tröstliche Gewißheit, daß die Freundschaft zu ihm einfach da war und keinerlei Fragen oder ständigen Anstrengungen bedurfte, um sie am Leben zu erhalten.
    Die Erinnerung war so deutlich, daß er sich sogar umdrehte, in der Erwartung, hinter ihm stünde… Und damit löste sich das Bild auf. Er sah kein Gesicht, das sich damit verbinden ließ. Was blieb, war das Wissen, daß sie einander vertraut hatten.
    Er erkannte die wuchtige, etwas unförmige Gestalt von Klaus. Das Licht der Lüster über ihm fiel auf sein Gesicht, hob seine gebrochene Nase noch auffallender hervor, als sie ohnehin schon war. Die Leute hinter ihm sprachen in einem Wirrwarr von Sprachen miteinander: Deutsch, Italienisch, Französisch nur Englisch war nicht mehr zu hören.
    Er wußte, wen er eigentlich erwartet hatte: den Mann, der früher einmal sein Förderer und Freund gewesen war, und den man später um

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