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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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und möglichst viel über die Vergangenheit erfahren«, antwortete Monk offen.
    »Halten Sie es für möglich, daß Friedrich ermordet wurde?« Ein verwirrter Ausdruck lag auf Eugens vernarbtem Gesicht.
    »Auf der Grundlage der vorliegenden Indizien, ja«, antwortete Monk. »Überrascht Sie das?«
    Monk rechnete mit einer schockierten oder wütenden Reaktion, doch Eugens Antwort ließ nichts außer verhaltener Trauer erkennen.
    »Gisela Berentz traue ich so etwas nicht zu, aber ich könnte mir durchaus einen Mord aus politischen Gründen vorstellen. Wir stehen vor gewaltigen Umwälzungen in allen deutschsprachigen Staaten. Wir haben die Revolutionen von ’48 überlebt…« Er schlürfte zuerst einen Löffel Suppe. »Aber jetzt schwappt der Nationalismus in ganz Europa hoch, vor allem bei uns. Früher oder später werden wir wohl eine Nation sein. Manchmal überleben kleine Königreiche wie das unsere und dürfen aufgrund einer historischen oder geographischen Besonderheit unabhängig bleiben, aber normalerweise werden sie von den Großmächten geschluckt. Nun, Friedrich glaubte, bei uns könne alles beim alten bleiben. Oder zumindest dachten wir das. Graf Lansdorff verficht vehement diesen Standpunkt und natürlich auch unsere Königin. Sie hat ihr Leben dem Fortbestand der Dynastie gewidmet. Ihr zuliebe scheut sie keine Mühe, und kein Opfer ist ihr zu groß.«
    »Außer Gisela zu verzeihen«, brummte Monk, die Augen auf Eugens Gesicht gerichtet. Es verriet ihm keinerlei Anzeichen dafür, daß der andere seine Ironie verstanden hatte.
    »Gisela zu verzeihen hätte bedeutet, ihr die Rückkehr zu gestatten«, entgegnete Eugen, der nun seine Suppe aufaß und sich ein Stück Brot abbrach. »Das war nicht möglich! Wer Ulrike kannte, dem war das von Anfang an klar.«
    Ein Diener räumte die Suppenschüsseln ab und trug Wild mit gerösteten und gekochten Kartoffeln auf.
    »Warum sind Sie bereit, einem Freund bei Ermittlungen in einer Angelegenheit zu helfen, die für das ganze Land nur schmerzhaft sein kann?« fragte Monk und bedankte sich für seine großzügig bemessene Portion.
    Eugen zögerte nicht einen Moment. In seine hellblauen Augen trat ein belustigtes Flackern. »Eine scharfsinnige Frage, Sir. Nun, weil ich meinem Land und seinen Interessen am ehesten dienen kann, wenn ich die Wahrheit kenne.«
    Seine Miene verriet Monk aber noch mehr. Sie schien zu sagen: »Das soll aber nicht heißen, daß ich dulde, daß sie dann weiterverbreitet wird.«
    »Ich verstehe«, sagte Monk langsam. »Und was würde Ihrem Land dienen? Tod durch Unfall? Ein Attentat durch einen gedungenen Mörder, am besten einen unbekannten, oder Ermordung durch seine Frau aus persönlichen Motiven?«
    Eugen bedachte ihn mit einem kühlen Lächeln, doch in seinem Blick lag Anerkennung. »Es wäre ja nur eine Meinung, Sir, und was ich denke, ist weder von Belang, noch läge es in meinem Interesse, wenn Sie es wüßten. Felzburg ist derzeit eine gefährliche Stadt. Die Wogen schlagen hoch. Wir stehen an einem historischen Scheideweg. Vielleicht schlägt bald die Geburtsstunde von Deutschland – nicht so sehr als sprachlicher oder kultureller Gemeinschaft, sondern als Nation.«
    Monk wartete. Er spürte, daß sein Gastgeber noch nicht fertig war, und wollte ihn nicht unterbrechen.
    Eugens Augen leuchteten, und er konnte seinen Eifer nicht länger verhehlen. Das Essen vor sich hatte er vergessen. »Seit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches durch Napoleon sind wir nichts als ein paar Dutzend unabhängiger Kleinstaaten, nur geeint durch dieselbe Sprache und Kultur und die Hoffnung, daß wir eines Tages dieselben Träume verwirklichen, aber jeder auf seine Weise.« Er starrte Monk unverwandt an. »Einige sind liberal, in anderen geht es drunter und drüber, in wieder anderen herrscht ein Despot. Einige wünschen sich Pressefreiheit , während Österreich und Preußen, die zwei größten Mächte, die Zensur für ebenso überlebensnotwendig erachten wie eine kampfstarke Armee.«
    In Monk regte sich eine Erinnerung. Nachrichten von Rebellionen in ganz Europa; Männer und Frauen auf den Barrikaden, Truppen in den Straßen, Proklamationen, Petitionen, die Kavallerie, die Zivilisten angriff, Schüsse auf die Menge. Kurzzeitig hatte es die verwegensten Hoffnungen gegeben. Doch dann hatte Verzweiflung um sich gegriffen, als die Aufstände einer nach dem anderen niedergeschlagen wurden und die alten Herrscher mit noch raffinierteren und gründlicheren

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