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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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alles wieder da. Er wollte Entlastungsmaterial finden, um Rathbone dabei zu helfen, Zorah Rostova eine Verurteilung wegen Verleumdung zu ersparen. Und das hieß, er mußte Beweise für Zorahs Behauptung finden, daß Gisela Friedrich ermordet hatte. Ein Ding der Unmöglichkeit! Gisela hatte weder einen Grund noch eine Gelegenheit dazu gehabt.
    Eine schöne Suppe hatte er sich da eingebrockt. Aber jetzt mußte er alles tun, um Rathbone zu helfen, der sich gegen seine Gewohnheit völlig unüberlegt in diese Sache gestürzt hatte. Für einen Rückzug war es jetzt zu spät.
    Und außerdem saß Evelyn von Seidlitz im Zug. Bei der Erinnerung an sie mußte er lächeln. Mit etwas Glück würde er sie beim Dinner sehen. Dann mußte der Abend ja vergnüglich werden. Mit ihr machte alles Spaß. Bestimmt würden sie in einem netten Ort mit einem guten Gasthaus haltmachen. Andererseits freute er sich nicht auf die Nacht auf seinem nur teilweise nach hinten klappbaren Sitz. In dieser Haltung würde er höchstens nur immer für ein paar Augenblicke einnicken. Er glaubte sich zu erinnern, daß man in den letzten fünf Jahren irgendwo einen richtigen Schlafwagen erfunden hatte. Konnte es Amerika sein? Nun, dieser Zug war mit nichts dergleichen ausgestattet, auch wenn ihm ansonsten jeder denkbare Komfort geboten wurde.
    Merkwürdigerweise kam ihm all dieser Luxus selbstverständlich vor. Ein beklemmender Gedanke. Offenbar hatte er früher einmal genügend Geld verdient, um sich so etwas leisten zu können. Warum hatte er dann dieses Leben aufgegeben und war Polizist geworden? Es mußte mit dieser ominösen Schuld zu tun haben, in der er zu stehen glaubte. Doch er konnte noch so angestrengt grübeln, sie war und blieb hinter einem Schleier verborgen. Die Emotion war jedoch eindeutig: eine Verpflichtung, eine Angst, von der ihn jemand befreit hatte, dessen Freundschaft er eigentlich noch gar nicht verdient hatte. Aber wer? Der Mentor und Freund, an den er sich in Venedig so deutlich mit zunehmender Trauer erinnert hatte? Hatte er ihm diese Schuld je zurückgezahlt? Oder war die Erinnerung deswegen so deutlich, weil er das versäumt hatte? Hatte er sich davor gedrückt? Nur zu gerne würde er glauben, daß das nicht der Fall war. Er konnte sich gut vorstellen, daß er schroff, bisweilen sogar ungerecht gewesen war. Und ganz gewiß war er extrem ehrgeizig gewesen. Aber daß er ein Feigling oder Lügner gewesen sein sollte, konnte er sich nicht vorstellen. Und ein Mann ohne Ehrgefühl war er bestimmt auch nicht gewesen.
    Wie konnte er es nur herausfinden? Es war nicht damit abgetan, zurückzugehen und die Schuld abzugelten. Wenn der Mann wirklich sein Mentor gewesen war, dann war es jetzt ohnehin zu spät dafür. Er war ja tot. Die Bilder davon waren ja schon vor einigen Monaten zurückgekehrt. Aber er mußte endlich die Zusammenhänge verstehen. Nur so konnte er sich von den quälenden Zweifeln befreien, selbst wenn sich seine Befürchtungen über sich selbst bewahrheiteten. In gewisser Hinsicht trafen sie ja auch zu, solange er sie nicht eindeutig widerlegen konnte. Einige Dinge hatte er ja schon über den Mann, der er vor dem Unfall gewesen war, in Erfahrung gebracht. Und nichts davon konnte er leugnen. Einen Teil bewunderte er durchaus, vieles aber nicht. Wenn er ihn mit den Augen anderer betrachtete, konnte er diesen Mann, den er als Teil seiner Person akzeptieren mußte, nicht vorbehaltlos mögen. Nein, dieses Rätsel durfte nicht ungelöst bleiben.
    Der Zug hielt regelmäßig an, damit Kohle und Wasser geladen werden und die Passagiere ihre Bedürfnisse verrichten konnten. Nun, bis vor fünf zig Jahren hätte man dieselbe Strecke in einer Kutsche zurücklegen müssen, und das wäre ungleich langwieriger und unbequemer gewesen.
    Wie Monk vorausgesehen hatte, hielten sie vor einem Gasthaus an, wo ihnen ein vorzügliches Abendessen gereicht wurde.
    Klaus von Seidlitz kehrte ziemlich bald mit zwei ernsten Herren in Militäruniform in sein Abteil zurück, so daß Monk ein paar Minuten abseits der Gleise allein mit Evelyn verbringen konnte. Es war Nacht, aber er konnte ihr hübsches Gesicht deutlich sehen. Die Sterne in der klaren Bergluft, der Funkenregen aus der Lokomotive und die Fackeln der Arbeiter, die die für die Weiterfahrt durch Nordfrankreich nötigen Kohle und Wasservorräte auffrischten, sorgten für genügend Licht.
    Monk hätte so gerne stundenlang mit ihr geplaudert, sie über sich selbst befragt, ihr von seinen Erlebnissen

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