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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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und Beobachtungen erzählt und sie mit der Schilderung einer Wirklichkeit fasziniert, die es in ihrer Welt nicht gab. Und er hätte sie zu gern amüsiert.
    Doch der Gedanke an Rathbone bedrückte ihn. Die Zeit zerrann ihm zwischen den Fingern, und bislang konnte er nichts von Belang vermelden. Wollte er tatsächlich im Luxus schwelgen – vielleicht sogar nicht zum erstenmal – und das auf Kosten anderer? Gehörte er am Ende zu dieser Sorte von Männern?
    Er starrte in den glitzernden Sternenhimmel, vor dem sich die blassen Dampfwolken aus der Lokomotive langsam auflösten. Das Stampfen der Maschine schien weit weg zu sein, und er spürte Evelyns warmen Körper in seiner Nähe.
    »Hat Zorah keine Freunde oder Angehörigen, die sie dazu bewegen könnten, diese verrückten Beschuldigungen fallenzulassen?« fragte er.
    Er hörte Evelyn ungeduldig seufzen und ärgerte sich auf einmal maßlos. So eine wunderbare Gelegenheit bot sich ihm so schnell nicht wieder – und was tat er? Dieser elende Rathbone!
    »Ich glaube nicht, daß sie Angehörige hat«, sagte Evelyn in scharfem Ton. »Sie tut immer so, als wäre sie allein. Soviel ich weiß, ist sie zur Hälfte Russin.«
    »Magst du sie? Oder mochtest du sie, bevor sie überschnappte?«
    Sie hängte sich bei ihm ein. Er konnte den Duft ihrer Haare riechen und spürte ihre warme Haut an seiner Wange.
    »Sie ist mir völlig egal«, antwortete sie sanft. »Ich hielt sie immer schon für ein bißchen verrückt. Sie hat sich stets in die ungeeignetsten Männer verliebt. Einer war ein steinalter und potthäßlicher Arzt. Aber sie betete ihn an, und als er starb, war ihr Verhalten unmöglich. Sie ignorierte uns alle schlichtweg. Sie ließ ihn doch glatt verbrennen und verstreute die Asche von einem Berg in alle Richtungen. Danach ging sie auf eine lange Reise in irgendeinem lächerlichen Land. Ich glaube, sie fuhr den Nil hinauf. Dort blieb sie mehrere Jahre. Es heißt, daß sie sich in einen Ägypter verliebte und mit ihm zusammenlebte. Geheiratet hat sie ihn natürlich nicht! Na ja, eine christliche Hochzeit mit einem Ägypter ist wohl auch gar nicht möglich.« Sie brach unvermittelt in Lachen aus.
    Monk fand Evelyn auf einmal merkwürdig penetrant. Ihm fiel wieder sein Gespräch mit Zorah in London ein. Sie war eine ungewöhnliche Frau, exzentrisch, leidenschaftlich, aber weder grausam noch – soweit er das beurteilen konnte – unehrlich. Sie war ihm sympathisch gewesen. Er fand nichts dabei, wenn man sich in einen wesentlich älteren Menschen oder einen Angehörigen einer anderen Rasse verliebte. Das konnte tragische Folgen haben, aber es war kein Fehler an sich.
    Evelyn lächelte ihn an. Wie schön ihr Gesicht im Sternenlicht aussah! Und wie fröhlich ihre großen Augen lachten! Er küßte sie, und sie sank in seine Arme.
    Nach mehrtägiger Reise kam Monk schließlich eines Mittags in Felzburg an. Er war müde und sehnte sich danach, zu laufen, ohne nach drei Schritten kehrtmachen zu müssen, und in einem richtigen Bett zu schlafen, in dem man sich ausstrecken konnte.
    Leider hatte er keine Zeit, sich seine Wünsche zu erfüllen. Stephan hatte ihm bei der Abfahrt ein Empfehlungsschreiben für einen Freund mitgegeben, und gleich nach seiner Ankunft stellte Monk sich dort vor.
    »Äh! Ich hatte Sie erwartet.« Der Mann, der Monk willkommen hieß, war viel älter, als der Engländer ihn sich vorgestellt hatte, nämlich bereits Mitte fünfzig. Er war ein hagerer grauhaariger Soldat mit Narben auf beiden Wangen, die vermutlich von Duellen herrührten, und militärisch zackiger Haltung. »Stephan hat mir geschrieben, daß Sie kommen. Was kann ich für Sie tun? Mein Haus, meine Zeit und meine Fähigkeiten, sofern ich welche habe, stehen Ihnen zur Verfügung.«
    »Danke schön.« Monk war sich noch nicht sicher, was er suchte, geschweige denn, wie er es finden sollte, aber zumindest die Gastfreundschaft nahm er hocherfreut an. »Das ist wirklich sehr großzügig von Ihnen, Colonel Eugen.«
    »Dann bleiben Sie bei mir? Sehr schön. Möchten Sie etwas essen? Mein Butler kümmert sich um Ihr Gepäck. War die Reise angenehm?« Es war eine rein rhetorische Frage. Und wenn Monk nicht alles täuschte, gehörte Eugen zu den Leuten, die jede Reise als angenehm bezeichneten, sofern man das Ziel lebend erreichte.
    »Womit kann ich Ihnen dienen?« fragte Eugen, als die Suppe aufgetragen wurde. »Ich stehe Ihnen ganz zur Verfügung.«
    »Ich muß die Hintergründe zur politischen Situation

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