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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Methoden der Unterdrückung zurückkehrten. Aber wann war das gewesen? 1848?
    Er konzentrierte sich wieder auf Eugens Ausführungen.
    »Kurzzeitig hatten wir eigene Parlamente. Mit den Vorstellungen von Freiheit und Gleichheit für die Massen kamen auch große Nationalisten auf. Auch sie wurden ausgeschaltet, wenn sie nicht schon vorher Opfer ihrer eigenen Unfähigkeit oder Unerfahrenheit geworden waren.«
    »Auch hier?« fragte Monk. Nur widerwillig gab er preis, wie wenig er wußte, doch er mußte es erfahren.
    Eugen schenkte ihm einen vorzüglichen Burgunder ein.
    »Ja«, sagte er, »aber bei uns dauerte es nicht lang. Es gab kaum Gewalt. Der König hatte dem Volk schon vorher gewisse Reformen zugestanden, die Bedingungen der Arbeiter verbessert und auch ein Mindestmaß an Pressefreiheit eingeführt.« Ein, wie Monk meinte, bewunderndes Lächeln huschte über sein hageres Gesicht. »Ich glaube, das geschah auf Ulrikes Betreiben. Einige dachten ja, sie sei dagegen gewesen. Nun, wenn sie könnte, würde sie wohl am liebsten eine absolute Herrscherin wie Ihre Königin Elisabeth sein, Befehle erteilen und allen, die sich ihr in den Weg stellen, den Kopf abschlagen. Aber dafür ist sie dreihundert Jahre zu spät geboren. Und sie ist zu klug, um ihre Grenzen nicht zu erkennen. Sie plant langfristig. Sie sieht noch viele zukünftige Generationen auf dem Thron.«
    »Aber es gibt doch keine Erben«, warf Monk dazwischen.
    »Sie bringen es auf den Punkt«, erwiderte Eugen. »Wenn Friedrich ohne Gisela zurückgekehrt wäre, wenn er sich von ihr hätte scheiden lassen und sich neu verheiratet hätte, dann hätte es einen gegeben.« Er beugte sich vor. Sein Gesicht wirkte auf einmal grimmig. »Eins steht fest: Niemand aus der Umgebung der Königin hat Friedrich umgebracht! Wenn er ermordet wurde, dann suchen Sie den Täter bei den Anhängern der Vereinigung, die es nicht stört, wenn wir von Preußen, Hannover, Bayern oder einem der anderen mächtigeren Länder geschluckt werden. Oder suchen Sie nach einem, dem ein Amt oder Reichtum versprochen worden ist. ’48 gab es Bestrebungen, den österreichischen Erzherzog zum König von ganz Deutschland zu krönen. Gott sei Dank sind sie fehlgeschlagen. Aber das heißt nicht, daß man es nicht wieder versucht.«
    Monk schwirrte der Kopf.
    »Und Prinz Waldo?« fragte er mit vollem Mund.
    »Ich stelle ihn Ihnen vor«, versprach Eugen. »Morgen.«
    Eugen hielt Wort. Sein Diener hatte Monks Abendanzug geplättet und in den Kleiderschrank gehängt. Seine Hemden waren alle frisch gewaschen und blütenweiß. Die Kragen und Manschettenknöpfe lagen säuberlich neben seinen Toilettenartikeln auf der Kommode aufgereiht. Jetzt war Monk froh, daß er in der Zeit, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, so eitel gewesen war, daß er sich von allem nur die beste Qualität geleistet hatte.
    Er hatte sich gerade für seine in Achat gefaßten Goldmanschetten entschieden, als er sich ohne jede Vorwarnung in die Vergangenheit zurückversetzt fühlte. Genau dieselben Manschetten hatte er schon einmal ausgewählt. Vor einer Dinnerparty in London war das gewesen. Er begleitete den Mann dorthin, der ihn ausgebildet, gefördert und stets beschützt hatte. Daß Monk ungebildet war, ungeschliffene Manieren hatte, zu ungestüm und manchmal unhöflich war, hatte er großzügig übersehen. Mit unendlicher Geduld hatte er ihn nicht nur im Bankwesen, sondern auch in der Kunst, ein Gentleman zu sein, unterwiesen. Er hatte ihm beigebracht, wie man sich elegant kleidete, ohne protzig zu wirken, woran man einen guten Schnitt erkannte, wie man seine Hemden und die passenden Stiefel auswählte und sogar wie man seinen Schneider behandelte. Von ihm hatte Monk gelernt, welches Besteck man benutzte, was für einen Wein man auswählte, wann und wie man sprach, wann man schwieg und wann Lachen angebracht war. Im Laufe der Jahre hatte er aus dem Landjungen aus Northumbria einen Mann von Welt gemacht, der dieses natürliche Selbstbewußtsein an den Tag legt, mit dem sich die kultivierten von den gewöhnlichen Menschen unterscheiden.
    All das brach über ihn herein, als er das kleine Schmuckstück berührte. Er war zwanzig oder noch mehr Jahre jünger und stand ausgehfertig im Hause seines Mentors. Der Anlaß war wichtig. Die Situation war brisant, und er hatte Angst. Er hatte mächtige Feinde, die es in der Hand hatten, seine Laufbahn zu zerstören, ja, ihn verhaften und ins Gefängnis werfen zu lassen. Man hatte ihn einer

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