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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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weiße, mit echten Federn beklebte Flügel angebracht. Die Flügel wippten bei jeder Bewegung ebenso mit wie die Brüste der Tänzerinnen, deren Ansätze dank großzügiger Dekolletés mehr als zu ahnen waren.
    Wera,die wie angewurzelt im Türrahmen stand, glaubte durch den Tabakrauch hindurch zu erkennen, dass hie und da Geldscheine durch die Luft flogen, die von den Tänzerinnen mit mehr oder weniger eleganten Bewegungen aufgefangen wurden.
    Gleich darauf lockten die Tänzerinnen mit gekrümmten Zeigefingern die Herren spielerisch zu sich auf die Tanzfläche. Die meisten Herren winkten lachend ab, manch einer warf den Tänzerinnen eine Kusshand zu. Nur ein Mann sprang auf. Er war mit wenigen Schritten in der Mitte des großen U, wild wirbelte er eine der Tänzerinnen im Kreis herum, dann nahm er einen der auf ihrem Rücken angebrachten Schwanenflügel zwischen die Zähne und tat so, als würde er davon abbeißen. Der Mann war Eugen. Die Menge johlte.
    Wera drückte ihren Sohn noch enger an die Brust. Ein leises Wimmern entfloh ihren Lippen. Ein Alptraum! Sie war mitten in einem Alptraum gelandet. Nur – warum kniff sie niemand, so dass sie aufwachte?
    Klein-Egi, der bisher alles gespannt mit großen Augen verfolgte, schien die ausgelassene Stimmung nun auch Angst zu machen. Bevor Wera etwas dagegen tun konnte, brüllte er los. Sein Schrei war so markerschütternd, dass er selbst das Gejohle der Männer übertönte. Von einem Moment auf den anderen erstarb jedes Geräusch im Raum. Eugen ließ den Schwanenflügel samt Tänzerin los, das breite Grinsen auf seinem Gesicht gefror.
    »Wera?«

28. KAPITEL
    Du Sternglanz meiner Augen!
    Du meines Lebens Licht!
    Ersticke nicht die Liebe,
    Die mir das Herz noch bricht!
    Ja freu’ Dich, dass es leidet,
    Das Herz, das treu Dir blieb,
    Trotz allen seinen Qualen
    Dich hat so innig lieb!
    F röstelnd schaute Wera von ihrem Schreibtisch auf. Sollte sie Eugen das Gedicht schicken? Wie würde er darauf reagieren? Wollte sie ihre tiefsten Gefühle überhaupt derart entblößen? Zweiflerisch steckte sie das Gedicht samt allen anderen, die sie in den letzten Nächten geschrieben hatte, in die kleine Schublade des Schreibtisches.
    Wie benebelt ging sie dann durch ihr riesiges Appartement. Während sie sich nach einer zweiten Strickjacke sehnte, kam es ihr vor, als sehe sie eine fremde Wohnung: Die Tapeten hatten die Farbe reifer Mirabellen und waren durchzogen von feinen Streifen, deren Jägergrün sich im Stoff der großen Sitzgruppe, bestehend aus mehreren Fauteuils sowie einem bequemen Sofa, wiederholte. DieVorhänge jedoch wiesen ein kräftiges Rostrot auf. Sie hatte beim Einrichten ihres Wohnzimmers einen sonnigen Herbsttag vor Augen gehabt, so, wie der heutige einer war. Die warmen, erdigen Töne eines Erntedankkranzes, gereifte Farben, umweht von einem Hauch von Gold. Ein Zuhause hatte sie erschaffen wollen, für Eugen und ihre Familie.
    Traurig wandte Wera ihren Blick von einem besonders wertvollen Früchtestillleben ab, als das melodiöse Klingeln der Türglocke sie aus ihren Gedanken riss. Margitta – endlich!
    »Es war so schrecklich! Als ich mit Klein-Egi auf dem Arm in der Tür des Kasinos stand und Eugen und seine Kameraden fröhlich feiern sah … Alle starrten mich an, als wäre ich ein Hund mit zwei Schwänzen – ich kam mir so dämlich vor! Und dann dieses Weib …«
    Der Gedanke daran, wen sie inmitten von Eugens Kameraden entdeckt hatte, brachte die letzten Dämme in Wera zum Einstürzen. Sie weinte hemmungslos. Wie lächerlich sich Eugen benommen hatte. Ihr Eugen, ihr Held! Nie würde sie einem Menschen von seinem Auftritt erzählen können, dazu schämte sie sich viel zu sehr.
    »Und was hat Eugen gesagt?«
    Heulend schüttelte Wera den Kopf. Es dauerte einen langen Moment, bis sie sich so weit gesammelt hatte, dass sie weitersprechen konnte.
    »Auf irgendwelche Erklärungen konnte ich in diesem Moment gut verzichten, also bin ich wortlos davongerannt«, sagte sie mit bitterem Unterton.
    Margitta nickte verständnisvoll.
    Wera schauderte, als sie daran dachte, wie der Picknickkorb sie von der Sitzbank der Kutsche aus hämisch angegrinst hatte. Die feinen Leckereien – jede für sich ein Beleg ihres Versagens. Sie war sich so lächerlich vorgekommen! So dumm, so gedemütigt wie noch nie in ihrem Leben.
    »Nie zuvor ist mir eine Kutschfahrt so lang erschienen wie die Heimfahrt.Vor Klein-Egi wollte ich nicht weinen, weißt du? Als wir endlich daheim

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