Die russische Herzogin
paar Wohltätigkeitsorganisationen zeigt. Warum lässt du dir zuvor nicht ein paar neue hübsche Kleider machen? Seit Klein-Egis Geburt trägst du immer nur dieselben Sachen, am Ende heißt es noch, als meine Frau könntest du dir keine anständige Garderobe leisten. Und um deine Haare und deinen Teint solltest du dich auch kümmern, du siehst ein wenig blass aus, meine Liebe. Und dann die dunklen Schatten unter deinen Augen …« Er schüttelte tadelnd den Kopf.
Wera schnaubte. »So sieht man nun einmal aus, wenn man drei Mal nachts aufsteht, weil im Zimmer nebenan ein Säugling herzzerreißend schreit! Ich frage mich wirklich, wie du Klein-Egis Weinen einfach ignorieren kannst.«
»Aber Wera, Liebes – für die Nachtwache ist doch das Kindermädchen da. Ich schätze es nicht, wenn du Aufgaben übernimmst, für die sie bezahlt wird.«
Wera schwieg. Sobald sie ihren Sohn weinen hörte, musste sie einfach nach ihm sehen, Kindermädchen hin oder her.
»Ich bleibe dabei, du solltest dich wirklich ein bisschen besser pflegen. Nimm dir ein Beispiel an deiner Adoptivmutter«, fuhr Eugen fort, während er mit seiner Rasur begann. »Trotz ihrer dreiundfünfzig Jahre ist Ollys Gesicht noch immer fast faltenfrei, ihre Haare glänzen so sehr, dass es sogar mir auffällt! Und immer trägt sie die neueste Pariser Mode. Königlich vom Scheitel bis zum Zeh – das ist unsere Olly.«
Ein wenig schuldbewusst schaute Wera an sich selbst hinab. Ihr Nachtkleid hatte weder Pariser noch sonstigen Chic, dafür aber einen milchigen Fleck auf der Schulter, der davon rührte, dass sie Klein-Egi in der Nacht aus seinem Bettchen gehoben hatte.
»Eineneue Garderobe – das lohnt in meinem Zustand doch gar nicht«, murmelte sie.
Eugen zog mit einem Kamm einen exakten Scheitel in sein dunkles Haar. Als er mit seinem Werk zufrieden war, wandte er sich vom Kommodenspiegel ab und zu Wera.
»Dass du unseren nächsten Sohn unterm Herzen trägst, verpflichtet dich noch viel mehr dazu, so hübsch wie möglich auszusehen. Wenn ich euch das nächste Mal besuchen komme, möchte ich mit meiner hübschen, charmanten und anmutigen russischen Großfürstin richtig angeben können.« Nach Rasierwasser duftend kam er zu ihr ans Bett, beugte sich zu ihr hinab und gab ihr einen langen Abschiedskuss.
Nachdem Eugen gegangen war, verbrachte Wera die nächste Stunde damit, die Zeitungen durchzublättern, die ihr Hausdiener wie jeden Morgen besorgt hatte. Für Politik interessierte sie sich wenig, und auch die Beiträge über den neuesten Opernimport, die Kritiken über Theateraufführungen und Ballettvorführungen überflog sie nur oberflächlich und lustlos. Das meiste würde sie wohl nie mit eigenen Augen sehen. Dann spielte sie eine halbe Stunde lang mit Klein-Egi. Doch während sie vor der Nase ihres Sohnes hölzerne Bauklötzchen hin und her kullerte, wuchs ihre innere Unruhe. Draußen herrschte herrlichstes Spätsommerwetter! Wetter, das zum Wandern einlud. Und dazu, Ausflüge zu machen, in einem Straßencafé ein Eis zu genießen oder die Schwäne im See des Schlossgartens zu füttern. Sie jedoch saß wie eine Gefangene in ihren eigenen vier Wänden. Und wer war schuld daran? Niemand anderes als sie selbst!
Resolut raffte Wera ihren Rock zusammen und rappelte sich aus ihrer hockenden Haltung auf. Während sie mit der einen Hand Klein-Egi eine Rassel hinhielt, klingelte sie mit der anderen nach ihrer Hofdame.
»Eure Hoheit, kann ich etwas für Sie tun?«, fragte Clothilde von Roeder, kaum dass sie erschienen war.
Wera schüttelte den Kopf. »Nein, nur ich selbst kann etwas für michtun. Ach Clothilde, die letzten Wochen über habe ich mich so dämlich benommen! Anstatt stolz darauf zu sein, dass mein Mann mehr sein möchte als ein nichtsnutziger Salonlöwe, habe ich mich ständig bei ihm beschwert. Statt ihn für seinen Ehrgeiz und seinen Fleiß zu loben, habe ich mich sehnsüchtig nach ihm verzehrt. Vor lauter Selbstmitleid habe ich sogar zugelassen, dass das Leben an mir vorbeizieht. Nichts davon ist meiner würdig, ich schäme mich so sehr! Deshalb werde ich von nun an mein Leben wieder selbst in die Hand nehmen, so wie es sich für die Frau eines Offiziers gehört. Ich werde meinem Mann nicht mehr nachjammern, sondern selbst dafür sorgen, dass es mir gutgeht. So wie es Generationen von Romanow-Frauen vor mir auch getan haben. Clothilde, sagen Sie dem Kindermädchen Bescheid, dass wir in einer Stunde alle zusammen einen Ausflug in die
Weitere Kostenlose Bücher