Die russische Herzogin
als eine Reise zu unternehmen! Zum Beispiel, von früh bis spät in der königlichen Wäschekammer Leintücher und Tischdecken flicken.«
Sofort bekam Wera ein schlechtes Gewissen. Margitta und sie waren sich nach all den Jahren so vertraut – trotzdem vergaß sie immer wieder, welch anderes, wesentlich härteres Leben die Freundin führte.
»Du hättest deinen Mann endlich einmal ganz für dich. Außerdem – hast du nicht erzählt, dass deine Schwiegermutter eine nette Frau ist, die du sehr magst?«
»Ja, sicher. Herzogin Mathilde würde ich gern wiedersehen«, antwortete Wera gequält. »Aber weißt du, wie weit es nach Bad Carlsruhe ist? Über tausend Kilometer! Ich habe mir die Strecke auf dem Globus angeschaut, wir müssen über Heilbronn, Nürnberg und Dresden bis nach Görlitz fahren und von dort nach Bad Carlsruhe.« Wera schaute betrübt drein. »Das kann ich Klein-Egi nicht zumuten, niemals.«
»Wer sagt denn, dass du das Kind mitnehmen sollst?«
Wera zuckte zusammen, als habe ihr jemand eine Ohrfeige versetzt. »Ich soll meinen Buben allein hierlassen? Wochenlang in der Obhut fremder Menschen? Das würde ich nicht überleben. Nie und nimmer!«
Nachdem Margitta gegangen war, verfrachtete Wera ihren inzwischen wieder erwachten Sohn in seinen Kinderwagen. Zu Hause hättesie es keine Minute länger ausgehalten, sie wollte Menschen um sich haben. Und die würde sie an einem schönen Sonntagnachmittag im Schlossgarten finden, der seit jeher auch für die Bevölkerung offen stand. Außerdem brauchte sie frische Luft, wollte sich bewegen und hoffte, dass sich dabei der Nebel in ihrem Kopf lichtete. Ihre Hofdame Clothilde ließ sie zu Hause. Allmählich wurde ihr immer bewusster, dass andere Leute ihr nicht helfen konnten: Margitta sah Männer inzwischen grundsätzlich in einem schlechten Licht. Olly war nicht da. Und selbst wenn sie in Stuttgart gewesen wäre, hätte Wera sie nicht mit ihren Sorgen belasten wollen. Clothilde wiederum mochte zwar ahnen, dass zwischen ihrer Herrin und deren Gatten nicht immer nur eitel Sonnenschein herrschte, aber ins Vertrauen ziehen wollte Wera sie deshalb noch lange nicht.
Die Sonne schien tief und gleißend zwischen den Häusern der Stadt hindurch, ein föhniger Wind trug süße, milde Luft heran. Wie erhofft waren überall sonntäglich gekleidete Spaziergänger unterwegs, Kinder planschten lachend mit ihren Händen im Schlossbrunnen, Hunde bellten, ab und an wehte der Wind den Geruch eines Sonntagsbratens heran. Wera grüßte, wechselte mit einigen ein paar Worte und zeigte jedem, der auch nur ansatzweise in den Kinderwagen lugte, stolz ihren Sohn.
Der achte April war ein besonders glücklicher Tag in ihrem Leben gewesen. Der Tag, an dem sie morgens um sieben Uhr dem nächsten Herzog von Württemberg, Karl Eugen, den alle nur Klein-Egi nannten, das Leben schenken durfte. Vom ersten Augenblick an war Wera in ihr Kind verliebt gewesen, und ihre Liebe wuchs mit jedem Tag, den der Junge älter wurde.
»Ein strammer Bursche! Und ganz der Vater«, sagte Antonie, die Ehefrau von Weras Vermögensverwalter Carl Schumacher jetzt, als sie sich in den Unteren Königlichen Anlagen begegneten.
»Finden Sie nicht, dass alles an dem kleinen Mann besonders ist? Die hübschen Finger, die goldigen Füße, der feingezeichnete Mund … Und dann die Augen – selten hat ein Säugling schon solch strahlende Augen, nicht wahr?« Einem heftigen Impuls folgend, nahm Wera Eugen hoch und drückte ihn an ihre Brust. Ein Dutzendschmetterlingszarte Küsse landeten auf dem braunen Haarschopf des Kindes. Und plötzlich wog Eugens »Verrat« nicht mehr so schwer, weggeflogen waren ihr Groll, ihre Enttäuschung, das Gefühl, abgewiesen worden zu sein. Er war doch Klein-Egis Vater.
Antonie Schumacher lächelte.
»Grüßen Sie den König und sagen Sie ihm, so gut wie unter seinen Fittichen ist es uns noch nie gegangen«, sagte Hofrat Carl Schumacher, als sie sich wieder verabschiedeten.
Ein großes Lob aus dem Mund eines Mannes wie dem Hofrat, der mit Zahlen bestens umgehen konnte, dachte Wera. Nicht ohne Grund vertrauten Eugen und sie ihre Vermögensverwaltung ausgerechnet diesem geschickten Geschäftsmann an.
Während sie weiterschlenderte und den Sonntagsfrohsinn auf sich wirken ließ, schweiften ihre Gedanken ab zu Karl und Olly. Ihre Adoptivmutter war stets schnell dabei, vor allem Karls Schwächen zu sehen, und gewiss konnte man ihm einiges nachsagen. Aber Tatsache war auch: Unter Karls
Weitere Kostenlose Bücher