Die russische Herzogin
nur in deren Nähe kam.
Margitta lachte lauthals los. »Ein Kindermädchen! Du bist ja verrückt.«
»Und wer passt jetzt auf deine Geschwister auf?«, fragte Wera, die sich auf das Ganze keinen Reim machen konnte.
»Niemand!«, zischte Margitta, und ihre Augen wurden klein und kalt. »Wehe, du verrätst einer Menschenseele, dass ich hier bin. Eigentlich sollte ich daheim sein, aber dort ist es kalt und dunkel, und die Kleinen schreien die ganze Zeit, und ich weiß nicht, wie ich sie still kriegen soll, und –«
»Ist ja gut!« Beschwichtigend hob Wera beide Hände. »Ich bin froh, dass du hier bist. Dann bin ich wenigstens nicht so allein.«
Margitta schaute sie mit gerunzelter Stirn an. »Ich wäre gern öfter einmal allein. Aber entweder ich muss Mutter in der Wäscherei helfen oder daheim die Wäsche machen. Und putzen. Die Öfen auskehren. Auf die Kleinen aufpassen.« Sie winkte ab. »Aber von so etwas hast du ja keine Ahnung.« Die letzten Worte klangen verächtlich.
»Von wegen, das kenne ich nur zu gut«, antwortete Wera voller Inbrunst. »Mir befehlen sie auch von früh bis spät, was ich zu tun und zu lassen habe. Bestimmt suchen sie schon längst nach mir, ich darf nämlich nicht allein ›herumstreunen‹. Und dann das große Diner heute Abend – du glaubst nicht, wie mir davor graut. Wenn der König und die Königin da sind, heißt es ewig still sitzen und den Mund halten, und wehe, mir fällt eine Gabel vom Tisch!«
Diebeiden Mädchen kicherten abermals.
Wera rutschte auf dem Boden herum, so dass ihr Bein noch enger an das von Margitta gepresst wurde. So hatte sie sich einst auch mit Olgata verkrochen. Damals, als die Schwester ihren Griechenkönig noch nicht kannte.
Eine Spinne seilte sich direkt vor Weras Augen ab. Sie war braun, und eines ihrer Beine war nur halb so lang wie die anderen. »Spinnen bringen Glück« – hieß es nicht so? Und es war tatsächlich Glück, dass sie Margitta getroffen hatte. Eine Freundin. Sie hatte endlich eine Freundin.
»Wenn du willst, kann ich dir das Lesen beibringen«, sagte sie leise. »Ich frage mich zwar, wozu du so etwas Langweiliges lernen willst, aber von mir aus!« Sie zuckte mit den Schultern. »Bücher habe ich genug, vielleicht interessieren dich Märchen und Tiergeschichten mehr als alte Zwetschgenbäume.«
»Märchen?« Margittas Augen leuchteten auf, und einen Moment lang sah sie selbst wie eine Märchenfigur aus.
»Wera? Kind? Bist du da oben? Ich höre dich doch!«
Erschrocken drehten sich beide Mädchen in Richtung Tür um.
»Das ist Evelyn«, flüsterte Wera und sprang auf. »Keine Sorge, ich lenke sie ab! Sehen wir uns wieder?«, fragte sie noch, während sie schon auf die Treppe zulief.
»Nur, wenn du mir das Lesen beibringst«, raunte Margitta, die hinter einem großen Stapel Dachschindeln Deckung suchte.
Wera verzog das Gesicht. »Wenn’s sein muss. Ich kann dir auch wieder eine Brezel mitbringen, wenn du magst.«
Margitta nickte heftig.
»Hier hast du dich also verkrochen, habe ich’s mir doch gedacht.« Kopfschüttelnd verharrte Evelyn auf der unteren Stufe. »Und wie du aussiehst – voller Staub und Schmutz. Hat Ollys Zofe dich nicht erst heute Mittag gewaschen und hergerichtet?« Mit spitzen Fingern zupfte die Hofdame eine Spinnwebe aus Weras Haar. »Musst du dich immer im letzten Winkel verkriechen?«
»Sind meine Eltern etwa schon da?«, sagte Wera aufgeregt.
»DeineEltern? Wie kommst du denn darauf? Die Königin ist zu Gast, sonst niemand«, sagte die Hofdame, und ihre Stimme klang etwas weicher als zuvor. »Jetzt schau nicht so trübselig drein, heute ist doch ein ganz besonderer Abend.«
Wera rieb sich den schmerzenden Ellenbogen und sah Evelyn missmutig an. Schon wieder wurde sie angelogen. Wenn ihre Eltern nicht kamen, war es ein öder Tag wie jeder andere in Stuttgart! Von Margitta einmal abgesehen.
»Ein besonderer Abend, von wegen! Weihnachten ist doch erst morgen.«
»Aber heute findet die alljährliche Lotterie für alle Angestellten des Hofes statt. Schon Monate vorher macht sich deine Tante auf die Suche nach schönen, originellen oder lustigen Geschenken. Dinge, die du nirgendwo anders zu sehen bekommst. Und jetzt verrate ich dir etwas« – Eve winkte Wera vertraulich zu sich heran – »wenn du beim Essen artig bist, darfst du auch ein Los ziehen. Ist das nicht toll?«
Ein Los ziehen. Das hörte sich nicht schlecht an. Klaglos ließ sich Wera von Evelyn an die Hand nehmen.
»Kommt Pauline
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