Die Saat der Erde Roman
den Kopf.
»Herr, ich …«
»Jetzt nicht, Pilot. Die Erklärungen folgen später, sobald das Geheimnis enthüllt wurde, verstanden?«
Er wandte sich an den höhergestellten Roug und vollführte eine angedeutete, aber wohlwollende Verneigung, dann nickte er dessen Begleitern zu. Das Licht wurde gedimmt, und alle nahmen Platz, während einer der Roug ein schlankes Stativ mit einem funkelnden Gerät an der Spitze aufstellte. Kao Chih und Tumakri nahmen an der Seite Platz. Währenddessen sprach der andere Roug in perfektem Mandarin zu den sitzenden Ältesten.
»Fleißige und emsige Angehörige der Menschensippe - was Sie jetzt sehen werden, wurde kürzlich in dieser Großregion über alle Nachrichtenkanäle der ersten und zweiten Hyperraumschicht übertragen …«
Der erste Roug richtete sich auf und trat vom Stativ zurück, worauf ein Hologramm abgespielt wurde. Eine Reihe von europiden, asiatischen und afrikanischen Kommentatoren traten in Erscheinung, dazwischen sah man Bilder von Dörfern und Städten auf einer üppig grünen, fruchtbaren Welt fernab der Erde. Die Kommentare und Gespräche wurden überwiegend auf Englisch oder Russisch geführt, aber jemand - Chih vermutete, dass es die Roug gewesen waren - hatte Untertitel auf Mandarin hinzugefügt. Nach einer Weile setzte aufgeregtes Getuschel ein, denn die Dörfer und Städte gehörten zu einer Menschensiedlung, die von einem der drei Kolonieschiffe gegründet worden war, die sich zu Zeiten des Schwarmkriegs mit wahllosen Hyperraumsprüngen in die Weite des Weltraums geflüchtet hatten.
Die Tenebrosa , die Forrestal und die Hyperion. Für Kao Chihs Generation war dies eine uralte Geschichte, beladen mit dem Kummer und Schmerz der Niederlage und des Exils. Was die Besatzung der Hyperion anging, so lag die Welt, die sie zu ihrem Zuhause erkoren hatten - und die sie Darien nannten -, zufällig in einer Tiefenzone, die sie anderthalb
Jahrhunderte lang vor anderen Zivilisationen versteckt hatte. Und nun nahm die Erde Kontakt zu ihnen auf, bot ihnen Freundschaft und Unterstützung an und stellte ihnen in Aussicht, mit anderen Kulturen und Völkern im näheren Umkreis in Beziehung zu treten. Als die Kommentatoren erwähnten, dass die Nachbarn Dariens dem Brolturan-Pakt angehörten, veränderte sich die Stimmung im Raum. Alle wussten aufgrund von Gerüchten und inoffiziellen Verlautbarungen sowie der Leiden ihrer Verwandten, die noch immer auf Scheiterhaufen gefangen gehalten wurden, was die Beteiligung der Sendrukaner bedeutete.
Eine der kleineren Gruppen unter den Sippen, die auf der Orbitalstation Agmedra’a arbeiteten, nannte sich »Die Zerrissenen«. Sie gehörten einem Volk an, dessen Heimatwelten vor fast drei Jahrhunderten von den Brolturanern erobert worden waren. Die Brolturaner waren einmal eine fundamentalistische Gruppierung innerhalb der Sendruka-Gesellschaft gewesen, bis eine Prophezeiung und eine Intensivierung ihres fanatischen Eifers sie veranlasst hatten, unabhängiges Territorium außerhalb der Hegemonie heimzusuchen, worauf die Zerrissenen Opfer ihrer aggressiven Kolonisierung geworden waren. Als pazifistisches Volk ohne Verbündete wurden die Zerrissenen entwurzelt und von ihren paar Heimatplaneten vertrieben. Etwa die Hälfte von ihnen fristete in verschiedenen Flüchtlingsquartieren in der Region ihr Dasein, während der Rest in alten, heruntergekommenen Kryoschiffen von Stern zu Stern reiste und dort um Unterstützung oder eine Intervention ersuchte. Da der Brolturan-Pakt in der Zwischenzeit jedoch ein enger Verbündeter der Hegemonie geworden war, wollte niemand das Risiko eingehen, sich dessen Zorn zuzuziehen, denn die Folgen wären unkalkulierbar gewesen.
Es wurden auch Interviews mit einigen gewöhnlichen Bürgern der Kolonie Darien gesendet, seltsame Leute mit runden Augen und braunem oder rotem Haar, deren Vitalität Kao Chih jedoch sofort für sie einnahm. Dann sah man Aufnahmen von einheimischen Lebewesen und Naturschönheiten, gefolgt von einem kurzen, faszinierenden Blick auf ausgegrabene Alienruinen, welche die Forscher der Kolonie mit Hilfe von kleinen, humanoiden Eingeborenen erforschten, die vom bewohnten Mond des Planeten stammten. Chih staunte und musste lächeln, als Tumakri sich vorbeugte, die halb verschütteten Gebäudereste anstarrte und dabei Unverständliches vor sich hinmurmelte.
Die Holosequenz endete mit dem Empfang zu Ehren des Erdbotschafters und dessen kurzer Ansprache an das Publikum und die Reporter.
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