Die Saat - Ray, F: Saat
entsetzlich viele Einladungen.«
»Er war Firmenberater?« Camille lässt nicht locker, sie hat sich informiert, stellt Ethan fest. Sie ist schließlich Journalistin, dennoch empfindet er, dass sie sich in sein Leben mit Sylvie hereindrängt. Aber das ist kleinlich, er sollte froh sein für ihre Unterstützung.
»Ja«, Mathilde fährt auf die mittlere Spur und drosselt das Tempo, »aber eigentlich war er Volkswirt, und er kam sein ganzes Leben lang nicht von diesem verfluchten Afrika los. Sein Vater war nach dem Zweiten Weltkrieg in Kamerun Verwaltungsbeamter. Kamerun wurde damals von der UNO in zwei Treuhandmandate aufgeteilt, eins wurde von den Briten, eins von den Franzosen verwaltet.«
Der schwarze Mercedes ist auf die ganz rechte Spur gewechselt, bemerkt Ethan.
»Das weiß ich auch nur, weil sein Vater es mir immer wieder erzählt hat«, redet Mathilde weiter, »er hat nur in der Vergangenheit gelebt.« Mathilde seufzt. »Vincent war dreiundzwanzig Jahre bei Elf Aquitaine.«
»Bei dem Ölkonzern?«, fragt Ethan. Er und Sylvie haben so wenig über ihren Vater gesprochen, als wollte sie nichts damit zu tun haben.
»Das ist doch der Konzern mit den Skandalen«, Camille lehnt sich nach vorn.
»Was wissen Sie darüber?«, fragt Mathilde.
»ELF war eine Tarnung für politische und militärische – und nachrichtendienstliche Aktivitäten Frankreichs«, spult Camille ab, »ELF setzte Politiker in Gabun, Kamerun und Angola ein und setzte sie wieder ab. ELF dehnte seinen Einfluss auf den gesamten französisch sprechenden Teil Afrikas aus. Schmiergelder in Millionenhöhe flossen für Wahlkämpfe und Waffenkäufe.«
»Haben Sie darüber mal geschrieben?«, fragt Ethan teils beeindruckt, teils verärgert. Er will nicht, dass Mathilde sich beleidigt fühlt, immerhin fährt sie sie nach Gibraltar – und sie hat nicht nur ihren Mann, sondern auch ihre Tochter verloren.
Aber Mathilde lässt sich nicht beeindrucken, sie wirft nur einen kurzen Blick in den Rückspiegel. »Vincent hat immer gut verdient. Wir haben uns ein Appartement in Paris gekauft, ich bin mit Sylvie in die Ferien gefahren, Vincent hatte ja selten Zeit. Na ja, er war immer unterwegs, musste sich wegen der Firma mit all den Mobutus treffen – wie er sie immer genannt hat.«
»Mobutu – er errichtete eine der grausamsten Diktaturen in ganz Afrika«, wirft Camille ein, und Ethan spürt, wie sie sich gegen Vincent, gegen Mathilde, gegen Sylvie – und gegen ihn stellt.
»Das wissen wir, Camille …«
»Lass nur, Ethan, Vincent war oft selbst alles andere als begeistert von diesen Leuten«, unterbricht ihn Mathilde.
»Übrigens, der Wagen hinter uns folgt uns seit Torremolinos«, sagt Ethan jetzt.
»Wirklich?« Mathilde blinkt, wechselt auf die linke Spur und beschleunigt. Der Mercedes folgt. »Ich habe seit geraumer Zeit so ein Gefühl, dass ich beobachtet werde. Es fing kurz vor Vincents Tod an, aber … ich habe mir gesagt, das ist Einbildung. Dann schien es aufzuhören, oder es geschah verdeckter, vielleicht habe ich auch einfach nicht mehr darauf geachtet.« Mathilde wirft ihm einen längeren Blick zu. »Die Pariser Polizei hat gestern angerufen.«
»Warum hast du mir nichts …«
»Ich wollte ja, aber …«, fällt sie ihm ins Wort, wird nervös, blinkt wieder und zieht auf die mittlere, dann auf die ganz rechte Spur. Ethan dreht sich um. Tatsächlich folgt ihnen der Mercedes. Mathilde wechselt wieder auf die linke Spur und beschleunigt so stark, dass Ethan in den Sitz gedrückt wird.
Der Mercedes ist ihnen nicht gefolgt, er bleibt weiterhin rechts. Mathilde rast noch ein paar Minuten auf der linken Spur, dann fährt sie wieder langsamer. Sie atmet durch, wirft noch einen Blick in den Spiegel und lockert den Griff ums Lenkrad. Trotz der Sonnenbräune sind ihre Knöchel weißlich hervorgetreten.
Camilles Handy läutet.
»Christian? Es ist alles okay. Nein, ich kann dir nicht sagen, wo ich bin, aber ich melde mich, sobald ich wieder in Paris bin.«
Ethan legt den Kopf zurück. Paranoia. Er muss schlafen. Wenigstens für eine halbe Stunde.
Ein Schließfach – gibt es etwas weniger Banales für ein Geheimnis?
Er wacht dann doch erst wieder an der Ausfahrt La Linéa auf, als Mathilde abbiegt und den Jaguar durch eine hässliche Stadt im Schatten von Industrieanlagen und Raffinerien steuert.
Dunkel ragt der Kalkfelsen von Gibraltar vor ihnen auf. 426 Meter hoch, um genau zu sein, erinnert sich Ethan, während der Jaguar langsam zum
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