Die Saat - Ray, F: Saat
Schädeleröffnung und bei der anschließenden Gehirnentnahme vorgeht.
»Okay«, murmelt er, um sich selbst Mut zu machen, und nimmt das Skalpell in die Hand, »dann mal los.«
»Präparationsschritte«, liest er. »Vorbereitungen zur Eröffnung des Schädels. Die Haut am Schädeldach wird bis auf das Periost durchgeschnitten. Am Schnittrand wird die Kopfschwarte angehoben und vom Periost abgelöst.«
Als die blitzende Klinge des Skalpells durch die braune Haut schneidet, merkt er, dass seine Hand zittert. »Mach dir,verdammt, nicht in die Hose!«, zischt er. Und er weiß, dass es die Angst vor der eigenen Entscheidung ist, eine Regel zu übertreten, die ihn zittern lässt.
»Eröffnung des Schädels. 1 cm oberhalb der Ohren und der Orbitae wird die Schädelkalotte mit der elektrischen Säge bis zum Hinterhaupt durchgesägt. Dann lockert man den Sägespalt mit einem Meißel und schiebt den Meißel zwischen Kalotte und Dura mater.« Eine elektrische Säge hat er nicht, also muss er zur Handsäge greifen. Im Präparationskurs haben diesen Arbeitsschritt die Assistenten des Professors gemacht, erinnert er sich, wenn sie, die Studenten, am Morgen kamen, waren die Schädel schon aufgesägt, war das Schädeldach schon entfernt.
Er braucht mehr als fünfzehn Minuten, und seine Hände schwitzen in den Latexhandschuhen.
»Vorbereitende Schritte zur Herausnahme des Gehirns«, liest er weiter. Er muss kleine Muskeln und Gefäße durchtrennen und wieder ein Stück Schädel aufsägen. »Der Arcus posterior atlantis wird mit dem Meißel auf beiden Seiten vorsichtig durchtrennt. Dann wird der gesamte Knochenkeil durch sanftes Hebeln herausgenommen. Die Dura mater und die Arachnoidea werden durchtrennt und nach lateral geklappt. Dadurch wird der Blick auf die unteren Hirnnerven mit ihrem Durchtritt durch die Schädelbasis frei«, liest er noch und will gerade die Dura mater durchschneiden, als ihm etwas entgegenspritzt. Er zuckt zurück.
Was ist das? Vorsichtig schneidet er weiter die Hirnhaut auf. Die darunterliegende Masse ist seltsam weich. Er verlängert den Schnitt, und dann lässt er vor Entsetzen das Skalpell fallen. Eine gallertartige graue Substanz wabert unter der Hirnhaut und tropft wie zäher Schleim in die Nierenschale. Lukas’ Gehirn …
12 Samstag, 5. April
Paris
Ethan Harris ist ihr entkommen. Sie hat das Netz zu spät zugezogen. Spanair hat einen Passagier namens Ethan Harris von Málaga gemeldet, doch da war er schon wieder in Paris gelandet und hatte den Flughafen längst verlassen. Sie hat Odette anfragen lassen, wer mit ihm gereist ist, wer neben ihm gesessen hat.
Eine Nachricht hat ihr heute Morgen gleich den Rest gegeben: Mathilde Audry wurde gestern mitten auf der Autobahn in ihrem Wagen erschossen. Zum ersten Mal seit einem halben Jahr muss sie wieder ihre Magentabletten nehmen. Wieder ist sie zu spät gewesen. Der Job frisst sie auf, und ihr Leben läuft aus dem Ruder.
»In seiner Wohnung ist niemand.«
Sie nickt nur, als David diese Neuigkeit loswird, während er hereinkommt. Roland und sie reden schon seit vorgestern nicht mehr miteinander. Die Stimmung in der Wohnung ist unerträglich geworden, schon als sie gestern Abend hineinging, fühlte sie sich in einem feindlichen Lager. Roland hat die Kinder auf seine Seite gezogen. Ist ja auch nicht schwer, wenn man morgens und nachmittags zu Hause ist, ihnen das Frühstück richtet und das Abendessen macht. Scheidung. Davon hat er gesprochen. Das Wort hängt wie ein Damoklesschwert über ihrem Kopf. Letzten November hat er es zum ersten Mal ins Spiel gebracht. Als sie drei Wochen mit Grippe im Bett lag, eine Scheißlaune hatte und sich in ihrem Leben wie in einer Betonzelle eingesperrt fühlte. Und jetzt auch noch das: die Tote in Spanien.
»Er ist irgendwo untergetaucht«, hört sie David sagen.
»Was ist mit dieser Russin?«
David versucht, sich seinen Ärger darüber, dass sie nicht auf seine Neuigkeiten reagiert, nicht anmerken zu lassen, nur ein kurzes Malmen der Kiefer verrät ihn, wie sie feststellt.
»Auch verschwunden. Untergetaucht. Womöglich hat sie noch einen Namen.«
Sie kann sich nicht erinnern, dass sie schon einmal so glücklos, oder sollte sie sagen schlecht, ermittelt hat. Wieso sollte der Geheimdienst überhaupt Interesse an ihrer Mitarbeit haben? Wie ist sie überhaupt auf die Idee gekommen, sich dort zu bewerben?
»Was sehen Sie mich so an, David?«
»Schon gut, ich dachte …« Er bleibt stecken, will sich nicht wieder
Weitere Kostenlose Bücher