Die Saat - Ray, F: Saat
Mann mit den grauen Schläfen schiebt die schwarze Sonnenbrille auf das kurz geschnittene Haar, und die Sonne funkelt dabei auf seiner goldenen Uhr.
»Hi!« Nicolas lächelt kurz. Der Typ ist schwul, dafür legt er seine Hand ins Feuer.
»Hi! Wohin fahren Sie?«, fragt auch schon der Mann auf Englisch.
Nicolas tritt näher. »Ich weiß noch nicht. Surabaya vielleicht.«
»Was wollen Sie denn da?« Der Mann mustert ihn ein wenig belustigt.
»Haben Sie einen besseren Tipp für mich?« Nicolas ahnt, worauf das hinauslaufen könnte. Er kennt den Mann nicht. Aber es ist das Adrenalin, das immer noch in seinen Adern schwimmt und ihn waghalsig macht. Der kräftige Bizeps des gebräunten haarlosen Arms zuckt auf dem Türrahmen, während der Blick der blauen Augen über Nicolas’ Körper wandert.
»Hier gibt’s viele schöne Plätze. Deswegen wohne ich hier seit zehn Jahren. Wenn Sie wollen, kommen Sie mit.«
Das Englisch hat einen deutschen oder holländischen Akzent, bemerkt Nicolas. Er zögert einen Moment. Was ist besser? In einer Absteige in Surabaya zu verschimmeln oder bei diesem Typen, der ganz offensichtlich kultiviert ist, einzusteigen und so unterzutauchen? Außerdem sieht er nicht gerade schlecht aus.
»Super Idee!« Nicolas zeigt sein schönstes Lächeln. »Ich sag nur dem Taxifahrer Bescheid. Ach, ich heiße übrigens … Nicolas.« Er streckt die Hand aus.
»Raoul.«
Der kräftige Handschlag beruhigt – und erregt ihn. Er atmet auf, als er sich im gekühlten, schattigen Wageninnern auf den Ledersitz sinken lässt und den Geruch von Leder und herbem Parfüm wahrnimmt. Es ist, als käme er endlich an. Als wäre dieser Albtraum endlich zu Ende. Raoul wirft ihmeinen kurzen Blick zu und grinst, als Nicolas sich anschnallt. Das markante Kinn und die ausgeprägte Nase kommen im Profil noch besser zur Geltung, stellt Nicolas fest, und schon drängen Fantasien an die Oberfläche. Bekannte Fantasien aus seinem alten Leben, in dem all der Horror nur in Filmen und Büchern existierte. Ist dies die Wiedergutmachung für das, was er die letzten Tage durchmachen musste? Gibt es im Leben doch so etwas wie Gerechtigkeit?
Im Rückspiegel sieht er den Taxifahrer gestikulierend hinter dem Auto herschimpfen.
Lorraine … Lorraine wird er irgendwann schreiben, dass er noch am Leben ist. Oder … vielleicht auch nicht.
»Der Taxifahrer hatte es ziemlich eilig«, sagt Raoul und schaltet in den nächsten Gang. »Ihr seid die Strecke vom Flughafen ja in Formel-1-Geschwindigkeit gefahren!«
Nicolas stutzt. »Woher … Sind Sie etwa hinter uns hergefahren?«
Raoul antwortet nicht.
Nicolas’ Herz stolpert, Schweiß bricht ihm aus, seine Kehle schnürt sich zu. »Sind Sie uns gefolgt?«, bringt er krächzend hervor.
Raoul lacht und beschleunigt.
16
Uganda
Schwester Gabriela betreut die Menschen, die nicht ins Hospital kommen können, weil sie zu krank sind oder zu weit weg wohnen, weil es Kinder sind, die keine Eltern mehr haben. An Aids gestorben. Alle. Sie bringt auch Kranke ins Hospital, wenn sie nicht mehr laufen können, sie hat mit einigen Einheimischen den Community Health Service übernommen, versorgt die Kranken mit Medikamenten, überwacht die regelmäßige Einnahme, besonders bei Kindern. Bezahlt wird sie von Don’t forget Africa .Die Medikamente, insbesondere die für die AIDS - und die Tuberkulose-Therapie, stammen von Adana Pharmaceutics, hat Henrik in seinem letzten Blog geschrieben. Das geht ihm jetzt durch den Kopf, als er den weißen Jeep über die staubige Piste zwischen den Feldern heranjagen sieht. Kurz vor ihm bremst er scharf ab.
»Tracy vom Wildlife-Institut nimmt dich nach Entebbe mit«, sagt Gabriela ohne Einleitung, als sie die Tür mit dem Emblem der Taube und dem bogenförmigen Schriftzug Don’t forget Africa aufstößt.
Wenn ihr Haar unter dem Turban nicht hellbraun, sondern schwarz gelockt wäre und ihre Haut nicht sehr weiß, sondern sehr dunkel, könnte man sie für eine Einheimische halten, denkt er. Dieselbe stattliche Figur, der das lange Kleid mit dem farbenprächtigen afrikanischen Muster natürliche Würde verleiht, die großen Ohrringe und das lebensfrohe Strahlen in den Augen – das sich allerdings jetzt verdüstert hat. Er hilft ihr, die beiden Pakete mit Medikamenten und Verbandsmaterial für ihren mobilen Service in den Laderaum zu packen, der bis fast unters Dach mit Plastikboxen und einfachen medizinischem Gerät vollgestopft ist.
»Und wie kriegst du das durch
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