Die Saat - Ray, F: Saat
bleibt auf der Tragfläche stehen. Er droht zu taumeln, kann sich aber halten. Dann haben sie den Jungen schon entdeckt!
»Kriegen Sie keinen Ärger?«, bringt er hervor.
Ein lässiges Lächeln breitet sich über ihr Gesicht. »Don’t forget Africa hat viel Einfluss – aber sie sind nicht allmächtig.« Er glaubt ein Zwinkern in ihren Augen zu entdecken.
»Kennen Sie Dr. Bleibtreu?«, fragt er. Er kann sich nicht von ihren Augen losreißen. Irgendwas in ihrem Blick hält ihn in Atem, fasziniert ihn, trifft ihn ins Herz.
»Ich bin ihm zweimal begegnet, ja«, antwortet sie.
»Was ist er für ein Mensch? Auf wessen Seite steht er?«
Sie sieht ihm direkt in die Augen. Spürt sie auch etwas?, fragt er sich.
»Ich glaube«, seufzt sie, »ich verstehe mehr von Tieren als von Menschen.«
Er lächelt, und es kommt ihm vor, als hätte er schon sehr, sehr lange nicht mehr so gelächelt. »Warum tun Sie das für mich?«, fragt er, während ihm wieder der Schweiß ausbricht.
»Ich tue es für Afrika. Und jetzt beeilen Sie sich.« Sie macht eine Bewegung zur Luke hin, und er klettert hindurch, verstaut das Gepäck und die Kühlbox auf der Rückbank und lässt sich auf den Copilotensitz fallen. Tracy schließt die Tür, reicht ihm die Kopfhörer, setzt selbst welche auf und lässt die beiden Propeller an. Er atmet tief gegen die Übelkeit an.
Dennoch, in diesem Moment fühlt er sich glücklich. Gerettet und nicht allein. Verrückt, dabei wird er gleich Tausende von Metern hoch im Himmel schweben, weit, weit weg von allen Menschen – außer von Tracy, einer Frau, der er gerade erst begegnet ist.
»Haben Sie Flugangst?«, fragt sie gegen den Lärm der Propeller an. Er schüttelt den Kopf.
Sie greift nach hinten und legt ihm eine Tüte auf die Oberschenkel. »Für den Fall, dass … Aber genießen Sie den Flug. Wir haben gutes Wetter.«
Es ist richtig, was er tut. Mit diesem Gefühl versucht er sich zu entspannen, während Tracy die Maschine auf die Startbahn steuert und beschleunigt. Der Kegel des Scheinwerfers verliert sich vor ihnen im Dunkeln. Nur wenige Sekunden später hebt die Maschine ab, und Henrik überwindet den kurzen Moment der Angst, als er den festen Boden unter den Füßen verliert. Die Maschine schraubt sich höher, und bald ist Henrik von einem tiefdunklen Blau umgeben, in dem die Sterne winzige Lichtpunkte sind.
Lieber Gott, danke, dass du mir diese Aufgabe gegeben und den Weg gezeigt hast. Hilf mir, dass alles gut wird! Amen.
17 Sonntag, 6. April
Genf
Dass er problemlos aus Paris herausgekommen ist und jetzt in Genf aus dem Flughafen spazieren kann, wundert ihn. Lejeune muss ihn doch suchen, und sicher hat sie längst den Toten entdeckt. Als sie über die schneebedeckten Alpen flogen, erwischte ihn wieder die Erinnerung. Ein halbes Jahr nachdem sie sich kennengelernt hatten, begleitete er Sylvie zu einem Kongress nach Genf. Anschließend verbrachten sie drei Tage in den Bergen, und Sylvie beeindruckte ihn mit ihren Skikünsten. Bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr hatte sie mit ihren Eltern regelmäßig die Weihnachtsferien in den französischen Alpen verbracht. Warum waren sie beide nicht wieder Ski gelaufen?
Sie hatten diese Möglichkeit einfach vergessen, plötzlich war keine Zeit mehr dafür gewesen. Termine, Fortbildungen, Nachtdienste, Deadlines. Man glaubt immer, alles auf später schieben zu können. Aber später ist immer danach – wenn es zu spät ist.
Er dreht sich nach Camille um, die gerade ihre Reisetasche neben sich abstellt. Der Enkel von John W. Milward, der mit der Milward-Foundation The Project ins Leben rief, gründete 1973 die Freimaurerloge The Three Poles, hat sie vorhin gesagt. Und Mathilde sagte, dass Vincent unter anderem für die Milward-Foundation gearbeitet hätte, hat sie noch stirnrunzelnd hinzugefügt. Seitdem geht ihm diese Tatsache, deren Konsequenzen er immer noch nicht durchblickt und begriffen hat, nicht mehr aus dem Kopf.
»Ethan!«, Camilles Stimme lässt ihn zusammenfahren. Es passiert ihm seit Tromsø häufiger, dass ihn Bilder und Gedanken forttragen. Er braucht Sekunden, um zu realisieren, dass sie längst das Hotel erreicht und die moderne Lobby des unmittelbar am Flughafen gelegenen Crown Plaza betretenhaben und dass Camille auf die Broschüre deutet, die sie in der Hand hält.
»Hör mal, was Edenvalley in seiner PR-Broschüre schreibt …« Sie räuspert sich. »Unser Saatgut, dem Herbizidtoleranz und/oder Insektenschutz verliehen wurde, dient
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