Die Saat
Anspruch auf Zuständigkeit zurückwies. Er musste die Kontrolle über die Schutzmaßnahmen behalten, wenn alles in seinem Sinne ablaufen sollte.
Die Vertreter von Boeing, die vom Firmensitz an der Westküste eingeflogen wurden, hatten unterdessen die Komplettabschaltung der 777 als »technisch unmöglich« bezeichnet, und einer der Vizepräsidenten von Regis Air, den man aus seinem Bett in Scarsdale geholt hatte, bestand darauf, dass ein Team von Regis-Air-Mechanikern als Erstes an Bord ging, sobald die medizinische Quarantäne aufgehoben war. Was die Todesursache der Flugzeuginsassen betraf, war ein Defekt im Luftumwälzungssystem die derzeit favorisierte Theorie. Der deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen und sein Stab warteten im VIP-Bereich immer noch ungeduldig auf das Diplomatengepäck ihres Mitarbeiters. Der Sprecher des Bürgermeisters plante für den Nachmittag eine Pressekonferenz, und der Polizeipräsident traf mit dem Chef seiner Anti-Terror-Abteilung in der mobilen NYPD-Einsatzzentrale ein.
Am späten Vormittag befanden sich immer noch achtzig Leichen an Bord, doch dank Ausweis-Scans und der detaillierten Passagierliste ging zumindest der Identifikationsprozess schnell voran.
In einer Pause berieten sich Eph und Nora mit Jim außerhalb des Sicherheitsbereichs. Von dort, wo sie standen, konnten sie einen Großteil der 777 über die Trennwände hinausragen sehen. Weiter draußen starteten und landeten die Flugzeuge wieder; der an- und abschwellende Lärm ihrer Triebwerke war infernalisch, das Flirren der Atmosphäre, jede Verwirbelung der Luft war deutlich zu spüren.
»Wie viele Leichen kann die Gerichtsmedizin in Manhattan bewältigen?«, fragte Eph zwischen zwei Schlucken Mineralwasser.
»Das hier fällt zwar in die Zuständigkeit von Queens«, erwiderte Jim, »aber du hast Recht: Die Zentrale in Manhattan ist am besten ausgerüstet. Rein logistisch werden wir die Opfer trotzdem zwischen diesen beiden sowie Brooklyn und der Bronx aufteilen müssen. Das macht dann ungefähr jeweils fünfzig.«
»Wie transportieren wir sie?«
»Mit Kühltransportern. So haben sie damals laut Gerichtsmedizin auch die Leichen aus dem World Trade Center geholt. Die Wagen kommen vom Fulton Fish Market in der Bronx. Die sind dort bereits benachrichtigt.«
Wie so oft hatte Eph auch jetzt wieder dieses Fantasiebild vor Augen: Er stellte sich den Seuchenschutz wie eine Art Widerstandsbewegung in Kriegszeiten vor, wobei er und sein Team den guten, gerechten Kampf ausfochten, während der Rest der Welt versuchte, so gut es ging den Alltag im Schatten der Besatzung zu bewältigen - also der Viren und Bakterien, die sie heimsuchten. In dieser Vorstellung war Jim der Betreiber eines verbotenen Untergrundradios, der, bewandert in etlichen Sprachen, alles beschaffen konnte, von Butter über Waffen bis zu einer sicheren Passage heraus aus Marseille.
Eph rieb sich die Augen und versuchte, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. »Irgendwelche Neuigkeiten aus Deutschland? «
»Noch nicht, nein«, sagte Jim. »Sie haben den Flughafen in Berlin für zwei Stunden geschlossen und eine komplette Sicherheitsüberprüfung durchgeführt. Das Flughafenpersonal ist wohlauf, auch die Kliniken melden keinen plötzlichen Krankheitsausbruch in der Stadt.«
»Nichts ergibt hier einen Sinn«, meldete sich Nora zu Wort.
Sie vermittelte den Eindruck, als stünde sie unter Strom.
Eph nickte ihr zu. »Schieß los.«
»Wir haben ein Flugzeug voller Leichen. Wäre das durch irgendein Gas oder Aerosol verursacht worden, das ins Belüftungssystem geraten ist - ob zufällig oder nicht -, dann wären nicht alle so ...
friedlich
gestorben. Sie hätten gewürgt, um sich geschlagen, sich erbrochen, wären blau angelaufen. Außerdem wären die Leute nicht alle gleichzeitig gestorben, sondern entsprechend ihrer gesundheitlichen Verfassung, und dann wäre unter den anderen ganz sicher Panik ausgebrochen. Wenn es sich hingegen um eine Infektion handelt, dann haben wir es hier mit einem völlig neuen, aberwitzig schnellen Erreger zu tun. Was darauf hindeutet, dass er in einem Labor entwickelt wurde. Und man darf nicht vergessen, dass nicht nur die Passagiere gestorben sind - das Flugzeug selbst ist mit ihnen gestorben. Als ob irgendetwas, eine Art lähmende Kraft, über die Maschine hergefallen ist und alles darin vernichtet hat, einschließlich der Insassen. Aber ganz so kann es auch nicht gewesen sein, oder? Denn - und ich glaube, das ist im
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