Die Saat
saß er da - wie an einen anderen Ort versetzt, den Suppenlöffel reglos in der Hand, die nun auch nicht mehr zitterte.
Das Bild des Flugzeugs spiegelte sich in den Gläsern seiner Brille wie ein Blick in die Zukunft. Die Brühe in der Schale kühlte ab, ihr Dampf entschwand, das zerpflückte Stück Brot blieb ungegessen.
Er wusste es.
Pick-pick-pick.
Der alte Mann
wusste es
...
Pick-pick-pick.
Seine deformierten Hände begannen zu schmerzen. Was er da sah, war kein Omen - es war die Tat selbst. Das, worauf er gewartet hatte. Worauf er sich vorbereitet hatte. Sein ganzes Leben lang. Bis jetzt.
Die Erleichterung, die er anfangs verspürt hatte - darüber, dass der Schrecken ihn nicht überlebt hatte, dass er noch eine allerletzte Chance auf Rache erhielt -, wurde von einer Welle reiner Angst weggespült. Worte verließen seinen Mund mit einem Schwall Dampf:
Er ist hier ... Er ist hier ...
Die Ankunft
Regis-Air-Wartungshangar
Da für die Wiederaufnahme des normalen Flugbetriebs auf dem JFK die Rollbahn frei gemacht werden musste, wurde die 777, so, wie sie war, noch vor Tagesanbruch in den Regis-Air-Wartungshangar gezogen. Niemand sagte ein Wort, als die Maschine voll toter Passagiere wie ein riesiger weißer Sarg vorbeirollte.
Nachdem das Flugzeug gesichert und die Laufwerkskeile angebracht worden waren, wurde der fleckige Betonboden mit schwarzen Planen abgedeckt. Mit eigens aus einem Krankenhaus herbeigeschafften Trennwänden errichtete man einen Quarantänebereich zwischen der linken Tragfläche und dem Bug; wie eine Leiche in einem riesigen Anatomieraum wurde die Boeing in dem Hangar isoliert.
Auf Ephs Bitte hin schickte das Office of the Chief Medical Examiner, die New Yorker Gerichtsmedizin, einige Ermittler aus Manhattan und Queens, die etliche Kartons mit Leichensäcken mitbrachten. Als weltweit größte gerichtsmedizinische Behörde hatte das OCME reichlich Erfahrung beim Management von Katastrophen mit einer hohen Zahl an Opfern und half bei der Ausarbeitung einer systematischen Vorgehensweise zur Bergung der Leichen.
HAZMAT-Beamte in Vollschutzanzügen brachten zuerst den Sky-Marshal heraus - die Männer salutierten mit ernster Miene, als der Leichensack in der Kabinentür auftauchte-, dann die Passagiere aus der ersten Reihe der Touristenklasse. Danach wurden die frei gewordenen Sitze ausgebaut, um in dem so gewonnenen Raum die Toten in die Säcke zu verpacken, bevor sie hinausgeschafft wurden. Jede Leiche wurde auf einer Bahre befestigt und von der Tragfläche herabgesenkt.
Ein so gut organisierter wie schauriger Vorgang. Etwa nach der dreißigsten Leiche löste sich plötzlich ein Beamter der Port Authority aus der Bergungsgruppe und versuchte, sich die Schutzhaube herunterzureißen. Als sich ihm zwei seiner Kollegen näherten, begann er, wie wild um sich zu schlagen. Er stieß die Männer gegen die Trennwände und durchbrach damit den Quarantänebereich. Panisch wichen die Umstehenden dem womöglich infizierten Beamten aus, der stöhnend und an seinem Schutzanzug zerrend aus dem riesigen Hangar stolperte. Auf dem Vorfeld, wo es dem Mann im Licht der Morgensonne schließlich gelang, sich die Schutzhaube vom Kopf zu ziehen und sich aus dem Anzug zu schälen wie aus einer viel zu engen Gummihaut, holte Eph ihn ein. Er packte den Beamten, der daraufhin zu Boden sank und schwitzend, mit Tränen in den Augen sitzen blieb. »Diese Stadt!«, brach es aus ihm heraus. »Diese verfluchte Stadt!«
Später erfuhr Eph, dass der Mann in jenen höllischen ersten Wochen nach dem Fall der Twin Towers auf dem Schutthaufen von Ground Zero im Einsatz gewesen war, erst als Mitglied der Rettungsteams, später bei den Bergungsarbeiten. Das Gespenst des elften September schwebte noch immer über vielen dieser Männer, und das aktuelle, verwirrende Geschehen mit seiner hohen Zahl an Opfern machte das damalige Grauen wieder fühlbar.
Ein sogenanntes »Go Team« - Analytiker und Ermittler der Verkehrssicherheitsbehörde in Washington - traf an Bord einer Gulfstream ein. Ihre Aufgabe war es, jeden zu vernehmen, der an dem »Zwischenfall« an Bord von Regis Air Flug 753 beteiligt war, die letzten Minuten, in denen die Boeing flugfähig gewesen war, zu dokumentieren und den Flugdatenschreiber sowie den Cockpit-Stimmenrekorder sicherzustellen. Das New Yorker Gesundheitsamt, das von der CDC beim Krisenmanagement übergangen worden war, wurde über die Angelegenheit informiert - auch wenn Eph dessen
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