Die Saat
gleiche Brille trug wie sie alle, die Hände auf den Knien, als erwartete er, jeden Moment aufgerufen zu werden. Werfer und Fänger standen gemeinsam in der Aufwärmzone und verfolgten das Schauspiel.
»Ladies und Gentlemen«, ertönte die Stimme des Stadionsprechers Bob Sheppard über die Lautsprecheranlage, »Jungs und Mädchen, Sie können jetzt die Schutzbrille abnehmen.«
Fünfzigtausend Menschen folgten dieser Aufforderung nahezu gleichzeitig. Nach einem dankbaren kollektiven Aufatmen brandete spärlicher Applaus auf, der schließlich in ein inbrünstiges Jubelgeschrei mündete.
In der Schule hatte Zack gelernt, dass die Sonne ein sechstausend Grad Kelvin heißer thermonuklearer Schmelzofen ist und die Korona - der äußere, aus Wasserstoff bestehende und von der Erde ausschließlich während einer Totalität sichtbare Rand -
noch
heißer ist, ja dass sie sogar Temperaturen von bis zu zwei Millionen Grad Kelvin erreicht.
Was er sah, als er die Brille absetzte, war eine perfekte schwarze Scheibe, eingefasst von einem schmalen, blutroten Saum, der wiederum von einem zarten Kranz weißen Lichts umgeben war. Wie ein Auge: der Mond die riesige schwarze Pupille; die Korona das Weiße; das Rot des Saums - tatsächlich erhitztes Gas, das vom Rand der Sonne in den Weltraum hinausgeschleudert wurde - die geplatzten Äderchen. Ein Zombieauge.
Cool.
Zombiehimmel.
Nein, besser:
Zombies der Eklipse. Zombies der Okkultation. Okkulte Zombies vom Planeten Mond.
Moment - der Mond war gar kein Planet.
Zombiemond.
Das war
die
Idee für den Film, den er in diesem Winter mit seinen Freunden drehen wollte. Während einer totalen Sonnenfinsternis verwandeln Mondstrahlen die Spieler der New York Yankees in gehirnschlabbernde Zombies - genau! Und sein Kumpel Ron sah fast so aus wie Jorge Posada in jüngeren Jahren. »Hey, Jorge Posada, kann ich mal ein Autogramm haben ... Moment, was machst du? Hey, das ist mein ... Was ist denn los mit deinen Augen? Nein ... NEIIIIIN!!!«
In diesem Moment setzte Orgelmusik ein, und ein paar betrunkene Zuschauer verwandelten sich in Dirigenten, die mit fuchtelnden Armen ihren Tribünenabschnitt aufforderten, in das Lied
I'm Being Followed
by
a Moon Shadow
einzustimmen. Baseballfans brauchten keinen großen Anlass, um drauflos zu krakeelen, die Leute hier hätten auch noch gejohlt, wenn die Okkultation ein Asteroid gewesen wäre, der auf sie zugerast kam.
Wow! Zack wurde bewusst, dass sein Dad genau so etwas gesagt hätte, wäre er jetzt hier gewesen.
Matt, der neben ihm gerade seine Gratisbrille bewunderte, stieß Zack in die Rippen. »Tolles Souvenir, oder? Jede Wette, morgen wird eBay mit den Dingern hier überschwemmt.«
Ein Betrunkener rempelte gegen Matts Schulter, verschüttete Bier über seine Schuhe. Matt runzelte die Stirn, sah Zack an und verdrehte die Augen. Doch er sagte nichts und unternahm auch nichts. Er drehte sich nicht mal nach dem Kerl um. Matt hatte in Zacks Anwesenheit noch nie Bier getrunken, nur Weißwein oder Rotwein abends zusammen mit Mom. Zack wurde klar, dass Matt trotz all seiner Begeisterung für Baseball im Grunde Angst vor den Fans hatte.
Und nun wünschte er sich wirklich, sein Dad wäre hier. Er zog Matts Handy aus der Jeans und überprüfte erneut, ob er eine Antwort auf seine SMS erhalten hatte.
NETZSUCHE stand auf dem Display. Kein Empfang.
Sonneneruptionen und elektromagnetische Störungen beeinträchtigen Funkwellen und die Satelliten in der Erdumlaufbahn - hatten sie nicht gesagt, dass so etwas passieren könnte? Zack steckte das Handy wieder weg, reckte den Hals Richtung Spielfeld und hielt erneut nach Jeter Ausschau.
Internationale Raumstation ISS
Dreihundertfünfzig Kilometer über der Erde schwebte die Astronautin Thalia Charles - eine amerikanische Flugingenieurin, die gemeinsam mit einem russischen Kommandanten und einem französischen Ingenieur der Expedition 18 angehörte - schwerelos durch den Verbindungsgang zwischen dem
Unity-Modul
und dem Heckschott des Labormoduls
Destiny.
Die ISS umrundete die Erde bei einer Geschwindigkeit von etwa achtundzwanzigtausend Stundenkilometern sechzehnmal pro Tag, also ungefähr alle anderthalb Stunden. Okkultationen waren in niedriger Erdumlaufbahn kein besonderes Ereignis: Wenn man an einem Fenster der Raumstation einen runden Gegenstand vor die Sonne hielt, bekam man sofort die spektakuläre Sonnenkorona zu sehen. Thalias Interesse galt daher auch nicht der relativen Ausrichtung von Mond und
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