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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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morbider Neugier, sondern weil sich das Bild dieses Flugzeugs in ihren Kopf eingebrannt hatte - so scharf wie ein greller Lichtstrahl, der direkt in die Augen fällt. Sie
musste
dorthin zurück ...
    Jetzt diese Sonnenfinsternis. Zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden wurde der Flughafen gesperrt. Diese Sperrung allerdings war seit Monaten vorbereitet worden; die FAA hatte allen Flughäfen, die innerhalb des Kernschattens lagen, eine fünfzehnminütige Betriebsunterbrechung auferlegt, schließlich konnten die Piloten bei den Starts und Landungen ja schlecht eine dunkle Brille tragen. Trotzdem stellte Lorenza eine so bedrückende wie simple Gleichung auf:
     
    Totes Flugzeug + Sonnenfinsternis = gar nicht gut.
    Und tatsächlich: Als der Mond die Sonne auslöschte wie eine Hand, die einen Schrei erstickt, empfand sie die gleiche elektrisierende Panik wie in jenem Moment, als sie unter dem Bauch der 777 gestanden hatte. Den gleichen Drang zur Flucht - nur diesmal gepaart mit dem Wissen, dass es keinen Ort gab, an den man fliehen konnte.
    Und sie hörte etwas. Ein Geräusch, das sie seit Beginn ihrer Schicht hörte, jetzt aber konstanter und lauter. Ein Summen. Merkwürdigerweise immer in derselben Stärke, ob sie nun Ohrenschützer trug oder nicht. So wie Kopfschmerzen schien es von innen zu kommen - und doch war es mit dem Flughafen verbunden.
    Sie beschloss, sich während der fünfzehn Minuten Betriebsstillstand zu Fuß auf die Suche nach der Quelle dieses Geräuschs zu machen, und es überraschte sie nicht besonders, als sie sich schließlich vor dem abgesperrten Wartungshangar wiederfand, in den die 777 geschleppt worden war.
    Das Geräusch in ihrem Kopf klang mechanisch, aber sie konnte es keiner ihr bekannten Maschine zuordnen. Es klang wie das Gluckern einer Flüssigkeit, die geschüttelt wird. Es klang wie das Flüstern Dutzender, ja Hunderter verschiedener Stimmen, die verzweifelt versuchten, etwas Sinnvolles zu artikulieren ...
    Vor dem Hangar stand eine Gruppe von Beamten, die zur Sonnenfinsternis aufsahen. Es war niemand unter ihnen, der wie Lorenza von einem Summen geplagt durch die Gegend schlich. Also hielt sie sich bedeckt. Trotzdem erschien es ihr aus irgendeinem Grund sehr wichtig, in diesem Moment hier zu sein und einen weiteren Blick auf das Flugzeug im Hangar zu werfen. Als würde dies das Summen in ihrem Kopf zum Schweigen bringen.
    Plötzlich spürte Lorenza eine Veränderung in der Luft, als hätte eine Brise ihre Richtung gewechselt, und es kam ihr so vor, als hätte sich auch die Geräuschquelle verlagert. Wie merkwürdig. Im fahlen Licht des glühenden Mondes, Kopfhörer und Schutzbrille in der Hand, stolperte sie auf eine Reihe Frachtcontainer zu. Dahinter Gestrüpp und einige windgepeitschte Kiefern, in deren Ästen sich Abfall verfangen hatte. Und dahinter, jenseits des Maschendrahtzauns, Hunderte Morgen unbebautes Land.
    Die Stimmen. Sie versuchten, zu einer einzigen zu verschmelzen, zu einem Wort ...
    Bei den Containern angekommen, ließ ein unvermitteltes Rascheln in den Bäumen Lorenza erschrocken innehalten. Graue Möwen, durch die Sonnenfinsternis offenbar verwirrt, schossen wie Glassplitter aus einem zerspringenden Fenster aus den Bäumen heraus und flatterten in alle Richtungen davon.
    Das Dröhnen der Stimmen hatte inzwischen eine geradezu schmerzhafte Lautstärke angenommen. Sie riefen nach ihr. Die Kakophonie schwoll von einem Flüstern zum lauten Gebrüll eines höllischen Chors an, der versuchte, ein einziges Wort zu artikulieren. Lorenza lauschte. Es klang wie:
    » ...
hhrrhhrrhhrrhhrrhhrrHIER.«
    Sie legte die Ohrenschützer am Rand des Rollfelds ab, behielt die getönte Brille jedoch bei sich. Wenn die Finsternis endete, würde sie die Gläser brauchen.
    Gleich darauf ging sie zwischen zwei mannshohen Containern hindurch, wich einem zerfetzten Flugzeugreifen aus und gelangte zu einer Reihe weiterer Container, die etwas älter und hellgrün waren. Jetzt spürte sie es ganz deutlich, hörte das rhythmische Dröhnen nicht nur, sondern
spürte
es, eine Vielzahl von Stimmen, die in ihrem Kopf und ihrer Brust vibrierten. Ihr zuriefen. Doch als sie die Hand auf einen der Container legte, fühlte sie keine Vibration. Sie ging weiter, blieb am Ende des Containers stehen, lugte um die Ecke.
    Auf dem ungemähten, verdorrten Gras, zwischen dem verwehten Müll, stand eine große, offenbar sehr alte schwarze Holzkiste, die, soweit sie es im fahlen Licht erkennen konnte,

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