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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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und allein dazu da, die eigentlichen Stimmfalten zu umschließen und so zu schützen. Sie waren eine anatomische Kuriosität, da sie selbst nach einer vollständigen chirurgischen Entfernung wieder nachwuchsen.
    Eph und Nora beugten sich vor. Sahen den Auswuchs auf den Taschenfalten, einen rosafarbenen, fleischigen Höcker, der unterhalb der Zunge in den Rachenraum abzweigte, jedoch keine Ähnlichkeit mit durch einen Tumor hervorgerufenen Missbildungen hatte. Es war eine offenbar spontan gewachsene Ausweitung der Gewebestrukturen im Unterkieferbereich.
    Draußen schrubbten sich Eph und Nora noch sorgfältiger ab als sonst. Was sie hier gesehen hatten, hatte seine Spuren hinterlassen.
    »Das alles ergibt überhaupt keinen Sinn.« Eph trocknete sich ab, spürte die frische Luft auf den Händen. Dann tastete er seinen Hals oberhalb der Kehle ab, dort, wo sich bei den anderen die Einschnitte befanden. »Ein nahezu chirurgischer Einschnitt ins Gewebe. Und ein Virus, das einerseits den postmortalen Verwesungsprozess bremst, andererseits spontanes postmortales Gewebewachstum auslöst.«
    »Es ist etwas Neues«, sagte Nora. »Oder etwas sehr, sehr Altes.«
    Sie gingen zu Ephs Explorer, der vor dem Lieferanteneingang im absoluten Halteverbot stand, die Karte mit der Aufschrift NOTFALL! EILIGE BLUTKONSERVEN! auf dem Armaturenbrett. Die letzten wärmenden Sonnenstrahlen des Tages schwanden gerade. »Wir müssen auch die anderen Leichenschauhäuser überprüfen«, sagte Nora. »Checken, ob dort die gleichen Anomalien festgestellt wurden.«
    Ephs Handy gab einen Ton von sich. Es war eine SMS von Zack:
    Eph fuhr sich durch das Haar. »Scheiße, das hab ich völlig vergessen. Die Anhörung wegen des Sorgerechts.«
    »Jetzt?«,
fragte Nora. »Okay, klar. Geh nur! Wir treffen uns dann ... «
    »Nein, ich ruf sie an, gar kein Problem.« Eph spürte, wie es ihn innerlich zerriss. »Wir müssen uns nochmal den Piloten ansehen. Warum hat sich sein Schnitt geschlossen, der der anderen aber nicht? Wir müssen unbedingt seine Pathophysiologie unter die Lupe nehmen.«
    »Und die der anderen Überlebenden.«
    Eph runzelte die Stirn, als er daran dachte, dass sich diese anderen Überlebenden selbst entlassen hatten. »Wie konnte Jim das nur so vermasseln!«
    »Wenn es ihnen schlecht geht, tauchen sie schon wieder auf.«
    »Aber dann könnte es zu spät sein. Für sie und für uns.«
    »Wie meinst du das?«
    »Wir müssen die Sache so schnell wie möglich aufklären. Es muss doch eine logische Erklärung für das alles geben.«
    Vor dem Haupteingang der Gerichtsmedizin an der First Street hatten sich mehrere Fernsehteams aufgebaut. Was wiederum eine beträchtliche Zuschauermenge anlockte, deren Verunsicherung und Nervosität auch aus größerer Entfernung deutlich spürbar war.
    In diesem Moment löste sich ein Mann aus der Menge und kam auf Eph und Nora zu. Ein Mann mit silbergrauem Haar und einem Spazierstock, der viel zu lang für ihn war und den er wie einen Stab am Schaft unterhalb des silbernen Knaufs hielt. Ein Schmierentheater-Moses, aber tadellos gekleidet: leichter, schwarzer Mantel, Gabardine-Anzug, goldene Uhrkette über der Weste. Und graue Wollhandschuhe mit abgeschnittenen Fingerspitzen - was bei einer so gepflegten Garderobe beinahe komisch wirkte.
    »Dr. Goodweather?«
    Woher wusste der Kerl seinen Namen? Eph sah ihn misstrauisch an. »Kennen wir uns?«
    »Ich habe Sie im Fernsehen gesehen.« Der Mann hatte einen leichten Akzent. Osteuropäisch? »Ich wusste, dass Sie hierher kommen würden.«
    »Sie haben auf mich gewartet?«
    »Was ich zu sagen habe, Doktor, ist sehr wichtig.«
    Ephs Blick fiel auf den Knauf des Gehstocks - ein silberner Wolfskopf. »Ja, aber bitte nicht jetzt ... Rufen Sie mein Büro an, lassen Sie sich einen Termin geben.« Er tippte schnell eine Nummer auf seinem Handy.
    Der alte Mann wirkte innerlich aufgewühlt, als müsste er sich große Mühe geben, ruhig zu bleiben. Er lächelte Eph und Nora an. »Mein Name ist Abraham Setrakian. Was Ihnen natürlich nichts sagt.« Er deutete mit dem Stock auf das Gebäude der Gerichtsmedizin. »Sie haben sie da drin gesehen. Die Passagiere aus dem Flugzeug.«
    »Wissen Sie etwas darüber?«, fragte Nora.
    »Allerdings. Sie haben sich nicht verändert, nicht wahr?« Eph schaltete unvermittelt das Handy ab.
Was
hatte der Alte da gerade gesagt? »Wie meinen Sie das, nicht verändert?«
    » Die Toten. Körper, die nicht zerfallen.«
    »Glauben Sie nicht alles, was Sie

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