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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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ihm. Es fiel auf die Arbeitsfläche, zerbrach jedoch nicht, sondern prallte ab und fiel in den Ausguss, wo es seinen Inhalt verschüttete. » Verdammt«, rief Bennett und suchte das Becken nach dem Wurm ab. Plötzlich spürte er etwas Warmes auf seinem Handrücken, ein paar Tropfen des weißen Bluts waren auf seine Haut gespritzt. Es war kein richtiges Brennen, eher eine Verätzung, ein Beißen, schmerzhaft jedenfalls. Rasch ließ er kaltes Wasser über die Stelle laufen und wischte sie dann an seinem Laborkittel ab.
    Dann sah er zum Kühlraum hinüber. Das Geräusch, das er gehört hatte, war bestimmt keine elektrische Fehlfunktion
gewesen. Eher eine Rollbahre, die gegen eine andere gestoßen war. Aber das war unmöglich! Wieder stieg Zorn in ihm auf. Der Wurm war durch den Ausguss entwischt. Er musste eine weitere Blutprobe nehmen. Diese medizinische Sensation durfte er sich auf keinen Fall entgehen lassen!
    Während er die schmerzende Stelle an der Hand rieb, ging er zur Kühlraumtür und zog am Griff. Mit einem Zischen wehte ihm kalte, abgestandene Luft entgegen.
    Nachdem Joan Luss sich und die anderen aus der Quarantäne befreit hatte, ließ sie sich von einer Mietlimousine geradewegs zu dem Wochenendhaus in New Canaan, Connecticut, fahren, das einem der Gründungspartner aus ihrer Kanzlei gehörte. Zweimal musste sie den Fahrer bitten, am Straßenrand anzuhalten, damit sie sich aus dem Seitenfenster hinaus übergeben konnte. Wohl ihre Grippe und ihr angeschlagenes Nervenkostüm. Egal. Jetzt war sie Opfer und Anwalt zugleich, geschädigte Partei und engagierter Rechtsbeistand, und würde um Entschädigungen für die vier Überlebenden und die Angehörigen der Toten kämpfen. Die Kanzlei Camins, Peters & Lilly konnte sich auf einen Vierzig-Prozent-Anteil der höchsten Schadensersatzzahlung freuen, die je von einer Firma geleistet worden war. Dieser Fall war größer als Vioxx, ja sogar größer als WorldCom.
    Und Joan Luss war Teilhaberin in dieser Kanzlei.
    Man meint, dass es sich in Bronxville gut leben lässt - bis man nach New Canaan kommt. Bronxville in Westchester County war Joans Zuhause, ein kleiner Ort fünfzehn Meilen nördlich von Midtown Manhattan, achtundzwanzig Minuten mit der Metro-North. Roger Luss arbeitete bei Clume & Fairstein im internationalen Finanzgeschäft und war fast jede Woche außer Landes. Joan war früher ebenfalls viel unterwegs gewesen, hatte nach der Geburt der Kinder aber weitestgehend auf Dienstreisen verzichtet, weil so etwas keinen guten Eindruck machte. Doch ab und an überkam sie das Fernweh, und die vergangene Woche im Ritz-Carlton am Potsdamer Platz in Berlin hatte sie rundum genossen.
    Da sie und Roger so sehr an Hotels gewöhnt waren, hatten sie versucht, diesen Lebensstil auch in ihrem eigenen Haus nachzuahmen, angefangen von beheizten Badezimmerböden und einer Sauna im Erdgeschoss über frische Schnittblumen zweimal die Woche bis hin zu Haushälterin und Waschfrau - alles außer nächtlichem Zimmerservice und Konfekt auf den Kopfkissen.
    Als sie sich vor einigen Jahren in Bronxville mit seinen wenigen Neubaugebieten und den schwindelerregend hohen Steuers ätzen eingekauft hatten, hatten sie einen großen Sprung nach vorn gemacht. Nun aber war Joan auf den Geschmack von New Canaan gekommen - wo der geschäftsführende Teilhaber Dory Camins wie ein Feudalherr auf einem aus drei Häusern bestehenden Anwesen einschließlich Fischteich, Pferdeställen und Reitbahn residierte -, und Bronxville erschien ihr altmodisch, ja provinziell.
    Zu Hause zurück, schreckte sie aus einem unruhigen Spätnachmittagsnickerchen auf, da ein Geräusch sie geweckt hatte. Immer wenn Roger nicht da war - derzeit war er in Singapur -, hörte sie Geräusche. Doch ihre jetzige Ruhelosigkeit führte sie auf das bevorstehende Treffen zurück, das sich vielleicht als das Wichtigste ihres Lebens entpuppen würde.
    Joan verließ das Arbeitszimmer, stützte sich auf dem Weg nach unten an der Wand ab und traf in der Küche auf Neeva, die Nanny ihrer Kleinen, die gerade das Chaos, das während des Abendessens entstanden war, beseitigte. »Aber Neeva, das hätte ich doch auch tun können«, sagte Joan - ohne auch nur ein Wort davon ernst zu meinen - und ging zu dem hohen Glasschrank, in dem sie ihre Medikamente aufbewahrte. Neeva war Haitianerin und lebte einen Ort weiter in Yonkers. Sie war um die sechzig und bereits Großmutter, wirkte in ihrem knöchellangen geblümten Kleid und den Converse

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