Die Saat
und spülte sie mit einem ordentlichen Schluck Scotch hinunter. Dann rieb er sich den Hals und die entzündete Kehle; inzwischen machte er sich ernsthaft Sorgen um seine Stimme. Er wollte gerade den Hahn - ein goldener Rabenkopf - aufdrehen und sich etwas Wasser ins Gesicht spritzen, als ihm einfiel, dass er noch immer das Make-up trug. Nun ja, ohne hätte ihn in den Clubs ja auch kein Schwein erkannt. Er starrte die kränkliche Blässe an, die die Schminke ihm verlieh, die eingefallenen Wangen, die pechschwarzen Kontaktlinsen. Tatsächlich konnte noch so viel Make-up nicht verbergen, dass er ein attraktiver Mann war, und genau darauf beruhte das Geheimnis seines Erfolgs. Seine ganze Karriere fußte darauf, Schönheit in jeder nur erdenklichen Form zu zerstören, das Ohr erst mit sphärischen Klängen zu verführen, nur um sie Sekunden später mit einer Industrial-Lärmkulisse in ihr Gegenteil zu verkehren. Das war es, worauf die jungen Leute abfuhren: die Entstellung der Schönheit. Ihre Korruption.
Beautiful Corruption.
Guter Titel für sein nächstes Album!
The Lurid Urge
hatte sich in der ersten Woche allein in den USA sechshunderttausendmal verkauft, in der MP3-Ära ein gewaltiger Erfolg, aber das waren immer noch sage und schreibe eine halbe Million weniger als bei
Lavish Atrocities.
Das Publikum gewöhnte sich langsam an seine Eskapaden auf und hinter der Bühne. Er war nicht mehr die Verkörperung der totalen Antihaltung, die Wal-Mart aus den Regalen verbannt, die das christlich-fundamentalistische Amerika, einschließlich seines eigenen Vaters, heftig bekämpft hatte. Die Ultra-Rechten ausgenommen, wurde es immer schwerer, die Menschen noch zu schocken. Seine Karriere näherte sich einem toten Punkt. Er dachte zwar nicht im Ernst daran, plötzlich seichte Fahrstuhlmusik zu machen - obwohl er damit die Welt
wirklich
schockiert hätte -, doch die vorgetäuschten Autopsien, die Bisse und Schnitte, die er sich auf der Bühne zufügte, waren inzwischen ein alter Hut, man erwartete sie von ihm wie die Zugaben. Er spielte
für,
nicht
gegen
sein Publikum, und das brachte ihn mächtig auf die Palme.
Aber hatte er seine Masche wirklich vollständig ausgereizt? Was konnte da noch kommen?
Wieder hörte er die Stimmen. Stimmen voller Schmerz, wie Echos seines eigenen Schmerzes. Es war ein Geräusch, als würde man sich eine große Muschelschale ans Ohr halten und nicht das Rauschen des Ozeans hören, sondern das Gejammer von Seelen, die in der Hölle schmorten. Er sah sich ängstlich um, vergewisserte sich, dass er allein war. Dann schüttelte er energisch den Kopf.
Als er aus dem Bad kam, knutschten Mindy und Sherry gerade miteinander, während Cleo mit einem Drink in der Hand auf dem Bett lag und die Zimmerdecke angrinste. Alle drei drehten sich erwartungsvoll zu ihm um. Er kroch auf das Bett - und seine Eingeweide schlugen Saltos.
Verdammt, er musste sich nur mal wieder so richtig das Rohr durchpusten lassen. Den Kreislauf auf Vordermann bringen!
Mindy war als Erste bei ihm, fuhr mit den Fingern durch sein seidig schwarzes Haar, doch Bolivar entschied sich für Cleo. Sie hatte etwas, das ihm gefiel. Er ließ seine Hand über die braune Haut ihres Halses gleiten, während sie ihr Top auszog und die Finger auf das weiche Leder legte, das seine Lenden bedeckte.
»Ich fahr schon auf dich ab«, hauchte sie, »seit ... « »Sch!«, unterbrach er ihr Groupie-Geplapper. Das Vicodin schien zu wirken - die Stimmen in seinem Kopf waren zu einem leisen Murmeln abgeebbt, das wie ein elektrisches Summen klang.
Und dann waren auch die beiden anderen da, ihre Hände wie Krabben, die seinen Körper erkundeten. Langsam zogen sie ihn aus. Wieder fuhr Mindy mit den Fingern durch sein Haar, doch er wich zurück, als wäre ihre Berührung schmerzhaft. Unterdessen öffnete Sherry seine Hose. Natürlich kannte er all die Gerüchte über
Größe
und
Talent,
die über ihn kursierten und von Mal zu Mal fantastischer wurden. Sherry ließ eine Hand in die Lederhose gleiten, doch das verzückte Stöhnen blieb aus. Tatsächlich: Im Moment lief da unten noch gar nichts. Was ungewöhnlich war, selbst wenn man die Flugzeuggeschichte und den ganzen Scheiß berücksichtigte - er hatte schon unter erheblich widrigeren Umständen seinen Mann gestanden.
Er konzentrierte sich wieder auf Cleo. Ihre Schultern, ihren Hals, ihre Kehle. Wie nett. Nein, mehr als das. Er verspürte ein seltsames Gefühl im Mund. Keinen Brechreiz, sondern das genaue
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