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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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Corona an und schlenderte die Straße hinunter, bis er die mit Kopfsteinen gepflasterte Gasse erreichte, die er vom Zimmer des Mädchens aus gesehen hatte. Tribeca war das einzige Viertel in ganz Manhattan, in dem es noch solche altertümlichen Gässchen gab.
    Vasiliy hatte nur einige wenige Schritte in der Gasse zurückgelegt, als er die Ratten entdeckte. Eine huschte am Rand des Gebäudes entlang; eine andere saß auf dem Ast eines kleinen, verkrüppelten Baums; eine dritte kauerte im Rinnstein und trank braunes Abwasser.
    Und während er dastand und sie beobachtete, schienen immer mehr Ratten aus dem Kopfsteinpflaster zu kommen - sie gruben sich buchstäblich zwischen den abgewetzten Steinen hindurch, quollen geradezu aus dem Untergrund. Das Skelett einer Ratte ließ sich regelrecht zusammenklappen, was es ihr ermöglichte, sich durch Löcher zu zwängen, die kaum breiter waren als ihr Schädel- also etwa zwei Zentimeter. Nun huschten sie zu zweit oder zu dritt durch die Ritzen und liefen schnell davon. Vasiliy schätzte ihre Körperlänge auf zwanzig bis fünfundzwanzig Zentimeter, den Schwanz nicht mitgerechnet. Mit anderen Worten: voll ausgewachsene Tiere.
    Zwei Müllsäcke ganz in der Nähe zuckten und wölbten sich: Ratten fraßen sich durch den Inhalt. Als eine kleinere an Vasiliy vorbeilief, trat er nach ihr und schleuderte sie etwa viereinhalb Meter zurück. Das Tier landete auf dem Asphalt - und Sekunden später hatten sich die anderen Ratten schon gierig darauf gestürzt. Lange, gelbe Schneidezähne bissen sich durch das Fell. Vasiliy wusste, dass die effektivste Methode zur Rattenvernichtung darin bestand, ihrem Lebensraum sämtliche Nahrungsquellen zu entziehen und sie sich dann gegenseitig auffressen zu lassen.
    Diese Ratten hier waren hungrig, und sie waren auf der Flucht. Eine derartige Oberflächenaktivität bei Tage trat in der Regel nur im Zusammenhang mit besonderen Ereignissen auf, etwa nach Erdbeben oder Gebäudeeinstürzen.
    Oder auch bei einem großen Bauvorhaben.
    Er ging Richtung Süden, überquerte die Barclay Street, näherte sich dem Ort, an dem sich die Stadt zum Himmel hin öffnete: einer sechseinhalb Hektar großen Baustelle. Dem ehemaligen World Trade Center.
    Dort angekommen, trat er auf eine der Aussichtsplattformen. Die Ausschachtungsarbeiten an dem tiefen Becken, das das neue Gebäude später einmal tragen sollte, waren nahezu abgeschlossen, die ersten Beton- und Stahlsäulen ragten bereits aus dem Fundament.
    Vasiliy erinnerte sich gut an jenen September des Jahres 2001. Nur wenige Tage nach dem Einsturz der Twin Towers hatte er im Auftrag des Gesundheitsamts die Zone um den Ground Zero betreten. Sie hatten die Lebensmittel aus den Restaurants am Rand des Komplexes beseitigt und danach die Keller und unterirdischen Räume durchsucht. Kein einziges Mal hatten sie eine lebende Ratte gesehen - aber jede Menge Anhaltspunkte für ihre Anwesenheit. Ja, eine Konditorei war praktisch komplett zerfressen worden.
    Die Rattenpopulation um die Unglücksstelle herum war damals förmlich explodiert, und man befürchtete, dass die Biester die Ruinen früher oder später in Scharen verlassen und auf der Suche nach neuen Nahrungsquellen in die umliegenden Straßen und Viertel ausschwärmen würden. Deshalb wurde ein umfangreiches Eindämmungsprogramm eingeleitet: Tausende von Köderboxen und Stahldraht-Fallen wurden am Ground Zero aufgestellt, und dank der Wachsamkeit von Vasiliy und seinen Kollegen fand die Invasion nie statt.
    Vasiliy arbeitete auch jetzt für die Regierung, leitete eine Studie zur Rattenbekämpfung im Battery Park neben dem ehemaligen World Trade Center. Daher war er auch auf dem Laufenden, was den Befall betraf, der seit Beginn des Bauvorhabens dort aufgetreten war. Bislang war alles jedoch im grünen Bereich.
    Er ging zu einem der Ferngläser - es waren die gleichen wie die auf dem Empire State Building -, warf zwei Vierteldollarmünzen ein und suchte die Baustelle ab.
    Er entdeckte sie sofort: die kleinen braunen Dinger, die aus den Ecken getrippelt kamen und um die Steinhaufen herumwuselten. Einige von ihnen waren verdammt schnell unterwegs, flitzten die Baustellenzufahrt zur Liberty Street hinauf und rasten um die Stahldorne herum, die das Fundament des neuen Gebäudes markierten, als gelte es, einen Hindernisparcours zu durchlaufen.
    Vasiliy suchte erst nach jenen Stellen, an denen der Neubau durch Tunnel mit dem U-Bahn-Netz verbunden werden sollte, dann richtete er

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