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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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das Fernglas etwas weiter nach oben, folgte einer Kolonne von Ratten, die auf eine Plattform an der Ostecke und von dort aus weiter auf die gespannten Stahlseile kletterten.
    Fluchtartig verließen die Ratten die Baustelle - ein Massenexodus auf jedem sich nur bietenden Weg.
     
    Jamaica Hospital Medical Center:
Isolierstation
     
    Hinter der Schleuse der Isolierstation zog sich Eph Latex-Handschuhe über. Normalerweise hätte er darauf bestanden, dass Setrakian es ihm gleichtat, doch ein Blick auf dessen gekrümmte Finger ließ ihn zweifeln, ob dem alten Mann dies überhaupt möglich war.
    Sie betraten Jim Kents ganz persönlichen Behandlungsbereich, das einzige belegte Bett auf der ansonsten leeren Station. Jim schlief. Kabel führten von seiner Brust und der rechten Hand zu Geräten, die allerdings keinerlei Geräusche von sich gaben. Die Krankenschwester hatte erklärt, dass Jims Werte - Herzschlagfrequenz, Blutdruck, Atmung, Sauerstoffniveau - so niedrig waren, dass sie sämtliche akustischen Alarmfunktionen abgeschaltet hatten, um den ständigen Lärm zu vermeiden.
    Eph schob die Plastikvorhänge zur Seite und spürte, wie sich Setrakian neben ihm anspannte. Als sie näher traten, zeigten sämtliche Geräte einen deutlichen Anstieg der Vitalfunktionen an. Sehr ungewöhnlich.
    »Wie der Wurm in dem Glas«, sagte Setrakian mit belegter Stimme. »Er spürt uns. Spürt, dass Blut in der Nähe ist.«
    »Das kann nicht sein.« Eph ging näher heran; Jims Kreislauf- und Gehirnaktivitäten nahmen weiter zu. »Jim?«
    Das Gesicht seines Mitarbeiters - die Haut teigig und grau - wirkte völlig entspannt. Doch dann sah Eph, dass die Pupillen unter den Lidern hin- und herzuckten, als läge Jim in einer Art manischem REM-Schlaf.
    Mit dem silbernen Wolfskopf am Ende seines Gehstocks schob Setrakian die letzte noch verbliebene Lage Vorhänge beiseite. »Gehen Sie nicht zu nahe ran. Ihr Kollege ... er verwandelt sich bereits. Der Spiegel. Nehmen Sie den Spiegel.«
    Ephs Innentasche wurde von einem acht mal zehn Zentimeter großen, silbergerahmten Spiegel ausgebeult - nur einer von zahlreichen Gegenständen aus dem Keller des alten Mannes, die dieser ihnen mitgegeben hatte. Für den Kampf gegen Vampire ...
    »Sehen Sie sich im Spiegel?«, fragte Setrakian.
    Eph erblickte sein Spiegelbild in dem alten Glas. »Klar.« »Schauen Sie mich damit an.«
    Eph drehte den Spiegel so, dass er das Gesicht des alten Mannes erkennen konnte. »Okay.«
    »Haben Vampire keine Spiegelbilder?«, fragte Nora.
    »So ähnlich«, sagte Setrakian. »Gut, Dr. Goodweather, schauen Sie jetzt - und bitte vorsichtig - sein Gesicht damit an.«
    Da der Spiegel ziemlich klein war, musste Eph noch näher an das Bett treten. Er streckte einen Arm aus und hielt das Glas in einem geeigneten Winkel über Jims Kopf.
    Zunächst schien er dessen Spiegelbild gar nicht einzufangen; es war, als würde Ephs Hand stark zittern. Kopfkissen und Bettgestell im Hintergrund standen dagegen völlig still.
    Doch dann sah er etwas: Jims Gesicht als verschwommenen Fleck. Es wirkte, als würde er in irrwitzigem Tempo den Kopf schütteln, so dass seine Gesichtszüge nicht mehr wahrnehmbar waren.
    Schnell zog Eph den Spiegel wieder zurück.
    »Die Rückwand besteht aus Silber«, erklärte Setrakian. »Das ist das ganze Geheimnis. Moderne Spiegel mit aufgesprühtem Chromrücken zeigen gar nichts. Aber ein echter Silberspiegel bringt die Wahrheit ans Licht.«
    Eph sah sich noch einmal selbst im Spiegel an. Alles normal, abgesehen vom Zittern seiner Hand. Dann hielt er den Spiegel wieder über Jims Gesicht, versuchte, ihn absolut ruhig zu halten - und sah wie zuvor nur einen vibrierenden Fleck. Fast so, als
wollte
Jim nicht wahrgenommen werden.
    Mit bloßem Auge betrachtet, lag er jedoch ruhig und entspannt da.
    Eph reichte den Spiegel an Nora weiter und sah Setrakian an. » Das bedeutet also, er verwandelt sich in so ein ...
Ding
wie Kapitän Redfern. «
    »Ein Vampir braucht sieben Nächte für eine vollständige Verwandlung. Dann hat die Krankheit den Körper gänzlich übernommen und ihn komplett umgestaltet. Und dann dauert es noch etwa dreißig Nächte bis zur vollen Reife.«
    Nora, schockiert von dem, was sie im Spiegel sah - oder dem, was sie
nicht
sah -, blickte auf. » Volle Reife?«
    »Beten Sie, dass wir diese Phase nicht erleben.« Setrakian deutete auf Jim. »Die Arterien im Hals bieten den schnellsten Zugang zum Blutkreislauf. Manchmal nehmen sie auch die

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