Die Sache mit dem Ich
ich mir noch. Aber wissen Sie zufällig was über die demolierten Zimmer im Hotel Sixeighty?«
»Mit Verlaub: nein.«
Weil uns die Planlosigkeit der Regierungselite etwas erschöpft und die Suche nach dem X-Faktor nicht wesentlich voranbringt, kaufen Fotograf Zuder und ich uns jeder eine Flasche Wodka und zwei Liter Orangensaft und ziehen uns auf unsere Zimmer Nr. 931 und Nr. 932 im Hotel Sixeighty zurück. Vielleicht verstehe ich die Somalis besser, wenn ich mich hier method-acting-mäßig einschließe, mir den Schädel zuknalle und bei den Dealern, die Zimmer 721 beliefern, noch etwas Khat bestelle. Sollte kein Problem sein. Man kann viel sagen über die Somalis, nur nicht, dass sie unterhaltungselektronisch unterversorgt sind. Handys haben sie alle, manche sogar mehr als eins, und wegen der günstigen, nämlich nichtexistenten Steuersituation in Somalia gibt es dort mehr und bessere Mobilfunknetze als in Kenia, Dschibuti, Tansania und Äthiopien zusammen. Sogar Wireless LAN und DSL haben sie da, zu Preisen, von denen du im Westen nur träumen kannst. Die Deals in dem Kapitalismusparadies haben so manchem Warlord hübsche Zweit- und Drittwohnungen in Dubai ermöglicht. Im Übrigen ein weiterer Grund, warum man sich mit der Regierungsübernahme noch Zeit lassen könnte. Auf einem Zettel notiere ich: »Möglicher X-Faktor: Finanzinteressen der ehemaligen Kriegsparteien, denen neu gebaute Immobilien in Dubai, Saudi Arabien und Oman wichtiger sind als die komplett verwohnten Kriegsbaracken in Mogadischu.«
Ich bin beim dritten Screwdriver, als es an der Tür klopft.
Dort steht ein kleiner Mann mit Schnurrbart, der ein bisschen wie Ben Kingsley in seiner Rolle als Mahatma Gandhi aussieht. Nein, ich muss mich korrigieren: nicht bloß ein bisschen. Er sieht genauso aus.
Ist er es vielleicht? Brauchen könnte man ihn.
»Guten Abend«, sagt er in perfektem Deutsch. »Ich habe gehört, Sie suchen mich?«
»Wer sagt so was?«
»Es machte die Runde.«
»Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
»Mein Name ist Ibrahim Rashid Abdulfattah, aber Sie dürfen mich Rashid nennen. Sie interessieren sich für die somalische Regierung?«
»Ich suche den X-Faktor, ja.«
»Den was?«
»Den Grund, warum die Somalis noch in Nairobi sind, obwohl sie eigentlich in Mogadischu sein müssten.«
»Da kann ich Ihnen helfen, wenn Sie bereit sind, mir kurz zu folgen. Keine Angst: Es ist ganz nah. Nur neun Stockwerke unter uns.«
Auf dem Weg nach unten gibt mir Rashid einen Kurzabriss seiner Biografie: 1953 geboren in Addis Abeba, Äthiopien, in den Sechzigern nach Mogadischu gekommen, wo er als Verkehrspolizist Strafzettel an frisierte Vespas verteilte; nach dem Putsch durch Siad Barre 1969 Asyl in Nürnberg, Deutschland, wo er heiratete und diverse Existenzen als Student, Ingenieur, Kaufhausdetektiv und Unternehmer durchlief.
Warum sein Clan, zu dem er jahrelang kaum Kontakt hatte, gerade ihn als Abgeordneten zur Friedenskonferenz entsandte, ist auch Rashid ein Rätsel.
»Vielleicht, weil ich ein paar Fremdsprachen beherrsche und zwei gut sitzende Anzüge habe.«
Dann stehen wir in der Lobby des Sixeighty. Was wir dort sehen, ist unglaublich: Nicht nur jeder einzelne Stuhl, Tisch, Sessel, Tresen, ja jede Lehne zwischen Rezeption, Café, dem Bata-Schuhladen und dem gigantischen Rauchglasfenster vor dem Eingang ist besetzt, auch die knapp achtzig Quadratmeter dazwischen sind vollgepackt mit Somalis, die in Zehn- oder Zwölferpacks umeinander herumstehen und reden, schreien, flüstern, diskutieren, in Handys brüllen. Es ist eine nach Zedernholzparfüm riechende Mischung aus Basar, Flughafen, Parlament, und es sind nicht nur die Regierungsabgeordneten hier, sondern auch Exilanten aus Kanada, USA , England, Italien; dazu Oppositionelle, Geschäftsleute, Journalisten, Spitzel, Spione.
Ganz Somalia also.
»So ist es jeden Tag«, sagt Rashid. »Hören und schauen Sie einfach nur mal zu, dann werden Sie verstehen.«
Rashid nimmt meine Hand und führt mich von Gruppe zu Gruppe. Er führt mich
– zu Dr. Qaasim Hersi Fara, Arzt aus Abudwak, der sich im Herbst letzten Jahres als einer von über hundert Somalis als Präsidentschaftskandidat aufgestellt hat und trotz Ablehnung immer noch mit seinem Bewerberausweis am Hemd herumläuft, weil er die Chance, Somalia »eine knallharte Law-&-Order-Politik italienischer Machart« zu verordnen, noch nicht vertan sieht;
– zu Colonel Pilot Scheich Omar Abdi Kassim, ebenfalls ehemaliger
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